18 Geisterstories
einer winzigen, batteriebetriebenen Lampe in seiner Spitze, um einen schwachen grünlichen Schimmer auf die Gesichtszüge des Geistes zu werfen, und über dem Helm einen grünen Schleier aus Nesseltuch, der im Parkett wie Nebel aussieht. Unter dem Umhang trug er eine Garnitur alter Bühnenwaffen, aber das ist nicht wichtig, denn im Notfall kam er auch ohne sie aus.
Bis zu seinem Auftritt schaltete der Geist sein Helmlicht nicht an, aus Furcht, von irgendeiner Ecke im Zuschauerraum aus gesehen zu werden; heute läßt er wegen jenes Aberglaubens, von dem ich bereits gesprochen ha be, den Nesseltuchschleier erst in letzter Sekunde fallen. Aber als Guthrie Boyd die Rolle spielte, existierte dieses Verbot noch nicht, und ich erinnere mich lebhaft daran, wie er in den Kulissen stand und auf seinen Auftritt wartete: eine große, bärenstarke, rätselhafte Gestalt, so wenig übernatürlich wie ein buschiges, sieben Fuß hohes Immergrün, das von einer grauen Persenning bedeckt war.
Aber wenn Guthrie das winzige Licht einschaltete, lei se und geschmeidig auf die Bühne trat und seine hohle, leicht gequält klingende Stimme erhob, überfiel alle ein schreckliches, grauenerregendes Schaudern, das sogar uns hinter der Bühne in seinen Bann schlug, als hörten wir Worte, die in Wirklichkeit über die schwarzen, unendlichen Golfströme aus dem Jenseits zu uns herübertönten.
Auf jeden Fall war Guthrie ein großer Geist und vielleicht sogar ein bißchen besser als in seinen anderen Rollen – zumindest in diesen ersten Wochen, als er noch nicht trank. Er schien sehr glücklich über sein gelungenes Comeback zu sein, obwohl uns aus seinen Augen bisweilen irgend etwas Schweres und Totes anstarrte: Der alte Alkoholiker fragte sich offenbar, was all dieser ermüdende, nüchterne Unsinn eigentlich zu bedeuten habe. Er freute sich ganz besonders auf unseren dreitägigen Aufenthalt in Wolverton, der damals noch zwei Monate entfernt in der Zukunft lag. Der Grund war, daß seine beiden Kinder, die inzwischen natürlich längst verheiratet waren, in Wolverton lebten. Ich bin sicher, daß er großen Wert darauf legte, ihnen in eigener Person seine Rehabilitation vor Augen zu führen, in der Hoffnung, auf diese Weise eine Versöhnung herbeizuführen.
Aber dann kam seine erste Vorstellung als Othello. (Der Prinzipal, unser eigentlicher Star, spielte immer den Jago, eine genauso große, aber eben nicht die Titelrolle.) Guthrie war natürlich schon zu alt für den Othello, und außerdem stand es mit seiner Gesundheit nicht zum Besten – die Zeit des Trinkens hatte ihren Tribut gefordert, die Probenarbeit und die ersten allabendlichen Auftritte in acht verschiedenen Stücken nach Jahren fern vom Theater hatten ihn erschöpft. Aber irgendwie brodelte der alte Vulkan immer noch in ihm, und er gab sich alle Mühe, eine ausgezeichnete Aufführung zustande kom men zu lassen. Am nächsten Morgen schwärmten die Zeitun gen von ihm, und eine Besprechung stellte ihn sogar über den Prinzipal.
Das war es, unglücklicherweise. Die Glorie seines Triumphes war zuviel für ihn. Am nächsten Abend – wieder als Othello – war er betrunken wie ein Stinktier. Zwar erinnerte er sich noch der meisten seiner Verse, aber er verhaspelte sich des öfteren und torkelte hin und her. Um nicht hinzufallen, stützte er sich mit schwerer Hand auf die Schultern seiner Mitspieler, ja er vergaß sogar während der ersten zwei Akte, seine falschen Zähne einzusetzen, so daß seine Stimme breiig klang. Um das Maß voll zu machen, begann er in der letzten Szene noch, Gertrude Grainger zu würgen, bis die bereits bläulich angelaufene Desdemona, vom
Weitere Kostenlose Bücher