18 Geisterstories
Publikum ungesehen, ihm ein Knie in die Weichteile stieß; dann, nachdem er sich selbst erstochen hatte, warf er den Requisitendolch hoch in die Luft, der in zwei trägen Umdrehungen wieder herunterkam und in den Bühnenbrettern steckenblieb. Die stumpfe Dolchspitze bohrte sich tief in das weiche Holz des Bühnenbodens, keine drei Fuß von Monica entfernt, die Jagos Frau Emilia spielte und an diesem Punkt des Dramas bereits tot auf der Bühne lag, ermordet von ihrem schurkischen Gatten – und die wirklich tot hätte sein können, wenn der Dolch nur einer etwas anderen Flugbahn gefolgt wäre.
Da eine dritte Vorstellung des Othello für den folgenden Abend angekündigt war, hatte der Prinzipal keine andere Wahl, als Guthrie durch Francis Farley Scott zu ersetzen, der nach seiner eigenen Ansicht den Othello ohnehin besser spielte und kaum seine Befriedigung dar über unterdrücken konnte, seine angestammte Rolle wie der zurückerobert zu haben. F.F. ein plüschweicher, lasziv dreinblickender Mohr, spielte die Rolle ohne eine zusätzliche Probe in der Tat so gut, daß ein Kritiker, der die erste und dritte Aufführung miteinander verglich, bewundernd anmerkte, daß wir nach Belieben große Rollen austauschen konnten. Er war offenbar der Meinung, dies geschähe allein aus dem Grunde, unsere Virtuosität zu demonstrieren. Selbstverständlich las der Prinzipal Guthrie die Leviten und schickte ihn zu einem Arzt, der ihm auch ohne Souffleur wegen seines Trinkens und seines schwachen Herzens einen großen Schrecken einjagte. Guthrie hätte sich sicherlich bald von seinem Rückfall erholt, wenn er nicht zwei Tage später, als wir Julius Caesar spielten, den Entschluß gefaßt hätte, sich mit einer wahrhaft aufrüttelnden Vorstellung zu empfehlen. Er bellte und grunzte und rollte mit den Augen wie in seiner besten australischen Schmierenzeit. Seine optimistische Selbstzufriedenheit zwischen den Szenen war schrecklich anzusehen. Gewiß, die Vorstellung war gar nicht so schlecht, aber alle Kritiker machten ihn nieder, und einer von ihnen sagte sogar: »Guthrie Boyd spielte Brutus – ein Bündel von Vokalen, in eine Toga eingehüllt.« Danach war Guthrie von morgens bis nachts besoffen. Der Prinzipal mußte ihm den Brutus wegnehmen, den wieder F.F. spielte, aber er wäre nicht der Prinzipal gewesen, wenn er ihn ganz fallengelassen hätte. Er teilte ihn für eine Reihe kleinerer Rollen in Othello und Julius Caesar ein und übertrug mir und Joe Rubens und manchmal auch Props die Aufgabe, den armen alten Trunkenbold im Auge zu behalten, um sicherzugehen, daß er eine hal be Stunde vor Beginn der Vorstellung ins Theater kam – wenn möglich, nicht allzu besoffen. Oft spielte er den Geist oder den Dogen von Venedig in seinen Straßenkleidern unter dem Umhang oder der Samtrobe, aber er spielte sie. Und es waren viele Nächte, in denen Joe und ich unsere Runden durch die Hälfte aller örtlichen Bars machten, bevor wir ihn endlich aufgabelten. Der Prinzipal nannte Joe Rubens und mich manchmal spöttisch ›das amerikanische Element‹ in seiner Truppe, aber gleichzeitig verließ er sich auf uns: Ich habe gewiß nichts dagegen, so abgestempelt zu werden, denn es ist eine Freude, mit ihm zu arbeiten.
All dies scheint meiner Feststellung zu widersprechen, daß sich in dieser Zeit die Stücke wie von selbst spielten und Monotonie sich auszubreiten begann. Aber in einer Theatertruppe läuft immer irgend etwas schief, ansonsten ginge es nicht mit rechten Dingen zu.
Andererseits führte sich Guthrie gar nicht mehr so schlimm auf, nachdem er den Othello und den Brutus vom Hals hatte. Kleinere Rollen und sogar den Kent konnte er immer
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