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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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Pu­bli­kum un­ge­se­hen, ihm ein Knie in die Weich­tei­le stieß; dann, nach­dem er sich selbst er­sto­chen hat­te, warf er den Re­qui­si­ten­dolch hoch in die Luft, der in zwei trä­gen Um­dre­hun­gen wie­der her­un­ter­kam und in den Büh­nen­bret­tern ste­cken­blieb. Die stump­fe Dolch­spit­ze bohr­te sich tief in das wei­che Holz des Büh­nen­bo­dens, kei­ne drei Fuß von Mo­ni­ca ent­fernt, die Ja­gos Frau Emi­lia spiel­te und an die­sem Punkt des Dra­mas be­reits tot auf der Büh­ne lag, er­mor­det von ih­rem schur­ki­schen Gat­ten – und die wirk­lich tot hät­te sein kön­nen, wenn der Dolch nur ei­ner et­was an­de­ren Flug­bahn ge­folgt wä­re.
    Da ei­ne drit­te Vor­stel­lung des Othel­lo für den fol­gen­den Abend an­ge­kün­digt war, hat­te der Prin­zi­pal kei­ne an­de­re Wahl, als Gu­thrie durch Fran­cis Far­ley Scott zu er­set­zen, der nach sei­ner ei­ge­nen An­sicht den Othel­lo oh­ne­hin bes­ser spiel­te und kaum sei­ne Be­frie­di­gung dar über un­ter­drücken konn­te, sei­ne an­ge­stamm­te Rol­le wie der zu­rück­ero­bert zu ha­ben. F.F. ein plüschwei­cher, las­ziv drein­bli­cken­der Mohr, spiel­te die Rol­le oh­ne ei­ne zu­sätz­li­che Pro­be in der Tat so gut, daß ein Kri­ti­ker, der die ers­te und drit­te Auf­füh­rung mit­ein­an­der ver­glich, be­wun­dernd an­merk­te, daß wir nach Be­lie­ben große Rol­len aus­tau­schen konn­ten. Er war of­fen­bar der Mei­nung, dies ge­schä­he al­lein aus dem Grun­de, un­se­re Vir­tuo­si­tät zu de­mons­trie­ren. Selbst­ver­ständ­lich las der Prin­zi­pal Gu­thrie die Le­vi­ten und schick­te ihn zu ei­nem Arzt, der ihm auch oh­ne Souf­fleur we­gen sei­nes Trin­kens und sei­nes schwa­chen Her­zens einen großen Schre­cken ein­jag­te. Gu­thrie hät­te sich si­cher­lich bald von sei­nem Rück­fall er­holt, wenn er nicht zwei Ta­ge spä­ter, als wir Ju­li­us Cae­sar spiel­ten, den Ent­schluß ge­faßt hät­te, sich mit ei­ner wahr­haft auf­rüt­teln­den Vor­stel­lung zu emp­feh­len. Er bell­te und grunz­te und roll­te mit den Au­gen wie in sei­ner bes­ten aus­tra­li­schen Schmie­ren­zeit. Sei­ne op­ti­mis­ti­sche Selbst­zu­frie­den­heit zwi­schen den Sze­nen war schreck­lich an­zu­se­hen. Ge­wiß, die Vor­stel­lung war gar nicht so schlecht, aber al­le Kri­ti­ker mach­ten ihn nie­der, und ei­ner von ih­nen sag­te so­gar: »Gu­thrie Boyd spiel­te Bru­tus – ein Bün­del von Vo­ka­len, in ei­ne To­ga ein­gehüllt.« Da­nach war Gu­thrie von mor­gens bis nachts be­sof­fen. Der Prin­zi­pal muß­te ihm den Bru­tus weg­neh­men, den wie­der F.F. spiel­te, aber er wä­re nicht der Prin­zi­pal ge­we­sen, wenn er ihn ganz fal­len­ge­las­sen hät­te. Er teil­te ihn für ei­ne Rei­he klei­ne­rer Rol­len in Othel­lo und Ju­li­us Cae­sar ein und über­trug mir und Joe Ru­bens und manch­mal auch Props die Auf­ga­be, den ar­men al­ten Trun­ken­bold im Au­ge zu be­hal­ten, um si­cher­zu­ge­hen, daß er ei­ne hal be Stun­de vor Be­ginn der Vor­stel­lung ins Thea­ter kam – wenn mög­lich, nicht all­zu be­sof­fen. Oft spiel­te er den Geist oder den Do­gen von Ve­ne­dig in sei­nen Stra­ßen­klei­dern un­ter dem Um­hang oder der Sam­tro­be, aber er spiel­te sie. Und es wa­ren vie­le Näch­te, in de­nen Joe und ich un­se­re Run­den durch die Hälf­te al­ler ört­li­chen Bars mach­ten, be­vor wir ihn end­lich auf­ga­bel­ten. Der Prin­zi­pal nann­te Joe Ru­bens und mich manch­mal spöt­tisch ›das ame­ri­ka­ni­sche Ele­ment‹ in sei­ner Trup­pe, aber gleich­zei­tig ver­ließ er sich auf uns: Ich ha­be ge­wiß nichts da­ge­gen, so ab­ge­stem­pelt zu wer­den, denn es ist ei­ne Freu­de, mit ihm zu ar­bei­ten.
    All dies scheint mei­ner Fest­stel­lung zu wi­der­spre­chen, daß sich in die­ser Zeit die Stücke wie von selbst spiel­ten und Mo­no­to­nie sich aus­zu­brei­ten be­gann. Aber in ei­ner Thea­ter­trup­pe läuft im­mer ir­gend et­was schief, an­sons­ten gin­ge es nicht mit rech­ten Din­gen zu.
    An­de­rer­seits führ­te sich Gu­thrie gar nicht mehr so schlimm auf, nach­dem er den Othel­lo und den Bru­tus vom Hals hat­te. Klei­ne­re Rol­len und so­gar den Kent konn­te er im­mer

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