18 Geisterstories
spielen, ob er nun nüchtern oder betrunken war. König Duncan zum Beispiel und der Doge im Kaufmann von Venedig sind auch in betrunkenem Zustand noch leicht zu spielen, weil der Schauspieler immer ein paar Diener zur Seite hat, die seine Schritte lenken können, wenn er schwankt, und die ihn sogar festhalten können, falls es nötig sein sollte – was sich bisweilen als ein äußerst dramatischer Effekt herausgestellt hat, der besonders geeignet ist, die Unsicherheit des hohen Alters zu unterstreichen.
Und irgendwie schaffte es Guthrie auch weiterhin, den Geist in gewohnter Meisterschaft darzustellen und dafür gelegentlich Anerkennung zu finden. In der Tat bestand Sybil Jameson darauf, daß der stets betrunkene Guthrie jetzt in der Rolle des Geistes eine Spur besser sei. Und Guthrie selbst sprach unentwegt von unserem dreitägigen Aufenthalt in Wolverton, obwohl sich jetzt ebenso oft dunkle Besorgnis in die väterlichen Erwartungen misch te. Nun, dieser dreitägige Aufenthalt kam wirklich. Wir erreichten Wolverton an einem spielfreien Tag. Zur Überraschung der meisten von uns, aber besonders zur Überraschung Guthries, standen sein Sohn und seine Tochter am Bahnsteig, um ihn mit ihren entsprechenden Gatten und allen ihren Kindern und einer großen Schar von Freunden willkommen zu heißen. Als sie ihn entdeckt hatten, brachen sie in frenetische Begrüßungsschreie aus.
Später fand ich heraus, daß Sybil Jameson, die Guthries Familie kannte, alle guten Kritiken nach Wolverton geschickt hatte, weswegen sie ganz begierig darauf waren, endlich mit ihm Versöhnung zu feiern und sich ihm gegenüber so lärmend wie möglich zu benehmen. Als er die Gesichter seiner Kinder und Enkelkinder sah und feststellte, daß die Schreie ihm galten, wurde der alte Guthrie ganz rot im Gesicht und strahlte. Sie scharten sich um ihn und schleppten ihn für einen Abend zum Feiern davon.
Am nächsten Tag hörte ich von Sybil, die sie mitgenommen hatten, daß alles sehr schön verlaufen sei. Er hatte zwar wie ein Fisch getrunken, aber sich in bewundernswerter Weise unter Kontrolle gehalten. Niemand außer ihr hatte etwas bemerkt. Guthries Versöhnung mit jedermann, vollkommen Fremde eingeschlossen, hatte aller Herzen erwärmt. Sein Schwiegersohn, ein streitsüchtiger Kerl, war ärgerlich geworden, als er hörte, daß Guthrie am dritten Abend nicht mehr den Brutus spielen durfte, und er erklärte rundheraus, daß Gilbert Usher auf seinen prächtigen Schwiegervater eifersüchtig sei. Alles war längst vergeben. Daß sie sogar versucht hatten, die alte Sybil zu Guthrie ins Bett zu legen, mag der romantischen Vorstellung entsprungen sein, jeder Schauspieler müsse selbstverständlich eine Geliebte haben. All das war natürlich sehr schön für Guthrie und in einer gewissen Weise auch für Sybil, doch ich vermute, daß nach zwei Monaten ununterbrochener, kaum kontrollierter Trunkenheit die nächtliche Ausschweifung ungefähr das Schlimmste war, was man dem angegriffenen Herzen des aufgedunsenen alten Jungen hätte antun können.
Am ersten Abend begleitete ich Joe Rubens und Props zum Wolvertoner Theater, um mich zu vergewissern, ob die Bühnenbilder richtig aufgestellt und die Kostümki sten alle sicher angekommen und aufbewahrt waren. Joe ist unser Bühnenmeister. Er war in seiner Jugend Profiboxer und hat seitdem eine eingeschlagene Nase. In der Meinung, daß ein Schauspieler alles wissen müsse, hatte ich einmal damit begonnen, bei ihm Boxstunden zu nehmen, aber während der dritten Stunde marschierte ich in einen matten rechten Haken hinein, der mich zwar nicht direkt umwarf, aber ich hörte noch sechs
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