18 Geisterstories
nachts hätte er häufig laut gestöhnt und aufgeschrien, so daß er, der Diener, mehrmals zu Tode erschrocken ins Zimmer geeilt wäre, um seinem Herrn beizustehen. Der Herr habe ihm aber solches stets sehr barsch untersagt und ein für allemal verboten, nachts bei ihm einzutreten, wenn nicht geklingelt würde. Heute habe der Herr einen besonders schlimmen Tag gehabt, sehr viel geächzt und gejammert und keinen Bissen gegessen. Um halb sechs Uhr abends hätte er geläutet und ihn mit einer Kommission beauftragt, für die beiläufig eine Stunde erforderlich war. Er wäre aber mit seiner Arbeit nicht gleich fertig geworden, hätte sich um ungefähr zwanzig Minuten verspätet, als im Schlafzimmer ein dumpfer Knall erfolgte. Und als er sah, daß sein Herr auf sich geschossen, wäre er augenblicklich zum Telefon gelaufen und hätte ins Cafe Zentral telefoniert, wo, wie er zufällig wußte, die Herren von der Klinik ihre Zeitung lasen. Das sei aber schon vor einer Viertelstunde geschehen.
»Gut«, sagte der Doktor, »Sie werden mir Papier und Tinte geben und dann mit dem, was ich aufschreibe, sofort ins Polizeigebäude gehen. Es ist meine Pflicht, gleich die Anzeige zu erstatten.«
Im selben Augenblick bemerkte der Arzt, daß Kerdac die Augen weit geöffnet hatte und die Lippen bewegte. Er eilte hin und beugte sich über den Schweratmenden.
»Schicken Sie den Diener in sein Zimmer«, flüsterte Kerdac, »ich möchte mit Ihnen sprechen.«
Dr. Klaar bat ihn, sich ruhig zu verhalten; er wolle nur etwas aufschreiben und in die Apotheke senden.
»Apotheke – nicht wahr?« stöhnte der Kranke. »Ich habe alles gehört, was gesprochen wurde. Wozu die Polizei? Es wird sehr bald aus sein. Ich möchte Ihnen Wichtiges mitteilen.«
Er brach ab und begann auf der Decke zu fingern. Sein Gesicht verfiel rasch und die Nase wurde spitzig.
Das hippokratische Gesicht – dachte der Arzt und dann fiel ihm ein, daß es in diesem Falle wohl gleichgültig und ganz und gar seine Sache sei, wenn die Polizei die Meldung um zehn Minuten später erhielt.
Er beschloß, den Willen des Sterbenden zu erfüllen, wies den Diener an, sich in seinem Zimmer bereit zu halten und setzte sich dicht neben den Kranken, der dankbar lächelnd die Oberlippe emporzog. Es widerstrebte ihm, den Armen noch mit der Untersuchung durch die Sonde zu quälen. Seiner Schätzung nach steckte das Blei im unteren Teil des Herzbeutels. Wie durch ein Wunder vermochte das Organ noch auszuhalten. Mühsam pumpte es noch einige Zeit das Blut durch den Körper – mit immer schwereren Schlägen.
»Greifen Sie unter mein Kopfkissen«, murmelte Kerdac. Der Arzt erfüllte seinen Wunsch und zog ein schmales Kästchen aus rotbraunem Maroquinleder hervor. Auf dem durch die Zeit glänzend poliertem Deckel war ein Wappen in Reliefpressung: eine geflügelte Schlange mit einem Frauenkopf. Darunter stand in lateinischen Buchstaben A Tormento.
»Sehen Sie alles genau an«, sagte Kerdac. »Ich sterbe noch nicht. Mir ist ganz wohl.« Seine Lider klappten herunter, so daß der Arzt sich erschrocken vorbeugte. Kerdac lag bewegungslos und atmete regelmäßig, wenn auch sehr schwach.
Dr. Klaar öffnete das Kästchen. Es war mit ehemals weißem, längst gelblich gewordenem Samt gefüttert. In zwölf halbrunden Vertiefungen lagen dünne Steinschlif fe, glatt und durchsichtig, darüber, wie ein Schutzdeckchen, eine Halbmaske, aus brüchiger, schwarzer Seide. Die Maske hatte nur eine einzige runde Öffnung an der Stelle des rechten Auges, und diese war mit einer Art von vorstehendem Rand versehen, als sollte ein kleines Augenglas eingeschoben werden. Ein schmaler Pergamentstreifen, der in der Maske lag, war ebenfalls
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