18 Geisterstories
Ich bin deshalb hierhin zurückgekehrt; um aber hier in Ruhe bleiben zu können, bin ich gezwungen gewesen, den Leuten, die es sich einfallen ließen, hier wohnen zu wollen, Angst einzujagen.«
»Ich … verstehe«, sagte Anatole.
»Das wundert mich nicht«, sagte der Geist, »da Sie wirklich sehr intelligent sind und das ist auch der Grund, weshalb ich geglaubt habe, Sie freundschaftlich und ohne Umstände empfangen zu können und daß ich es mir Ihnen gegenüber sparen könnte, mit Ketten zu klirren und Feuerzauber wirken zu lassen, mit dem man alte Weiber in Schrecken versetzt. Sie trinken aber gar nicht.«
»Doch, doch«, sagte Anatole, sein Glas mit einer Mischung von Kirsch und Chartreuse füllend. »Aber verzeihen Sie die Frage: Sie sagten, Sie hätten in der anderen Welt nicht bleiben können – aber weshalb konnten Sie dies nicht?«
»Ich glaube schon bemerkt zu haben, daß dies eine persönliche Angelegenheit gewesen«, bemerkte der Geist zurückhaltend. »Dennoch will ich Ihnen als Ehrenmann unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitteilen, was es damit für eine Bewandtnis hat. Ich starb also, nicht wahr, und man gab mir da natürlich eine Eintrittskarte für das Paradies, denn ich bin mein ganzes Leben lang ein gerechter und tugendhafter Mann von reinen Sitten gewesen, der sich treulich der Witwen und Waisen angenommen hat. So kam ich also in das Paradies … Und …«
»Und?« fragte Anatole, sein Gegenüber mit Augen anstarrend, die infolge des reichlich genossenen Alkohols sich mit Tränen zu füllen begannen.
»Und«, sagte der liebenswürdige Geist lächelnd, »ich fand sehr bald, daß ich es im Paradies einfach nicht aushalten konnte. Es wurde da immerfort musiziert, verstehen Sie wohl, es gab Musik vom Morgen bis Abend und vom Abend bis Morgen, Musik bei Tag und bei Nacht und allezeit, ohne Gnade und Barmherzigkeit. Dabei immer nur klassische Musik! Wenn man wenigstens mal eine Oper gehört hätte, ach, die schlechteste Oper mit den minderwertigsten Sängern, die meinetwegen auch noch falsch gesungen hätten! Es wäre doch mal eine Abwechslung gewesen. Dazu dann erst dies Publikum! Es gab nur streng tugendhafte Leute da, deren Ehrbarkeit so intakt war, daß man davor hätte fliehen mögen – gleichviel wohin. Ich habe mich da meines eigenen tugendhaften Lebenswandels schämen gelernt. Ich habe es ertragen, so gut ich konnte, vier Monate und acht Tage lang, da ging es nicht mehr und ich habe Fersengeld gegeben. Als St. Petrus mir die Himmelspforte aufgeschlossen, da habe ich ihm wohl angesehen, wie gern er meinem Beispiele gefolgt wäre, und als ich herausging, sagte er in traurigem, neiderfüllten Tone:
›Sie haben genug davon, was? … Sie machen sich davon. Ich wollte nur, daß ich das auch tun könnte. Diese verdammte heilige Musik! Volle achtzehnhundert Jahre habe ich das Gedudel nun schon anhören müssen.‹
Na, und ich bin dann zur Hölle herabgestiegen.«
Anatole, der sich gerade einen in Eis gekühlten Kümmel zu Gemüte geführt hatte, spitzte die Ohren. »Nun und ist es in der Hölle amüsant?«
»Das will ich meinen«, sagte das Gespenst bitter, sogar sehr amüsant. Aber – natürlich – es ist da auch nicht ein Platz mehr frei. Alles überfüllt. Ich hatte eine sehr gute Empfehlung und habe mich bemüht, eine Stelle als Unterteufel zu bekommen, aber der Chef des Personals hat mir ganz offen gesagt, daß ich nicht darauf rechnen könne. Es haben sich 11 780 212 Kandidaten vor mir dazu gemeldet, ohne von denen zu sprechen, die die ersten berechtigtsten Ansprüche auf Anstellung haben. Es warten noch drei Päpste und siebzehn Könige, wovon zwei Neger sind, darauf. Damit ist alles gesagt.«
»Da hast du
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