18 Geisterstories
begreiflich zu machen, daß das, was mich zu jenem unglückseligen Revolverschuß trieb, mehr war, als die Träume eines erregten Gehirns. Es war Wirklichkeit – ach, so schöne Wirklichkeit, und wieder so entsetzlich, daß kein Lebender sich das Maß von Grauen vorstellen kann, das ich durchlebt habe.
Nach den vorhin geschilderten Erlebnissen verbannte ich meine Zauberbücher in die Tiefe eines großen, verschlossenen Schrankes und ging ohne allen Gehirnballast auf Reisen. Es half mir nichts. Mein melancholisches Gemüt wurde nicht heiterer durch den raschen Wechsel der Eindrücke. Es lag ja in mir selbst, daß die Sonne am Mittelmeer anderen fröhlicher und heller strahlte als mir, daß mir die Rosen in Fiesole garstig und beklemmend dufteten, daß das blaue Meer nach Fischen und faulem Tang roch. In meinem Auge mußte ein Fehler sein, mein Gehör hatte gewiß eine häßlich mitklingende Saite. Wie wäre es sonst zu erklären, daß ich an einer schönen Frau nichts anderes sah als ein Flöckchen Ruß, das der Wind an ihre Wange geweht und der Schleier verwischt hatte? Daß ich in einem Beethoven-Konzert die immer wieder kehrenden Anfangstakte eines Gassenhauers heraushör te? Warum sah ich in einem Stück, das andere Menschen in ihren Seelentiefen erschütterte, nur schmutzige Sofitten und die Runzeln des Schauspielers, der den jugendlichen Liebhaber gab? Ich war es! Ich litt an mir selbst!
Einmal war ich verliebt. Rasend, unsinnig – ich konnte nur in ihrer Nähe leben. Mag dieser Ausdruck banal klingen – er ist trotzdem gut. Diesmal sah ich keine körperlichen Fehler. Aber ich wurde von einer höllischen Eifersucht gepeinigt. Ich wußte, daß ich betrogen würde. Ich wußte zugleich, daß es nicht so war. Verstehen Sie mich? Ich konnte nicht anders – es stieß mich etwas, von der Geliebten schlecht zu denken und ich quälte die einzige Frau, die für mich auf der Welt war, mit meinem beleidigenden Mißtrauen, mit meiner höhnischen Resignation, bis sie, gekränkt und in ihren zartesten Gefühlen roh verletzt, weinend von mir ging. Und damit war für mich eigentlich alles aus, daran bin ich auch zugrunde gegangen. Ganz gewiß.«
Kerdac seufzte tief auf. Eine große Schwäche und ein Muskelzittern, das der Vorbote des nahen Endes zu sein schien, kam plötzlich über ihn. Aber diesmal ging es noch vorüber, und er erzählte weiter:
»Ich kann mich an nichts erinnern, das mir wirkliche Freude gemacht hätte. Ich habe alles versucht und alles hat mich enttäuscht; ich war unzulänglich, der Freude unfähig. Ich gab auch schließlich jeden Versuch, mein Leben zu verschönern, als nutzlos auf und geriet wieder in den alten Zustand vollkommener Lethargie. Ich stand auf, wenn ich genug geschlafen hatte, aß, trank und trieb mich zwecklos und gleichgültig auf den Straßen herum.
Eines Abends – ich lebte damals in Paris – saß ich in einem Boulevardcafe und trank ein Glas Bier. Es war ein warmer Regentag im Frühjahr. Die Lichter spiegelten sich in den nassen Trottoirs. Ströme von Menschen kamen vorüber. Einzelne lösten sich aus der Masse, kamen ins Cafe, andere, die herausgingen, verschwanden sofort in dem lebenden Strom. Mich unterhielt es fast, diese kleinen Vorgänge, die einer Symbolik des Lebens glichen, zu beobachten.
Auf einmal bemerkte ich, daß sich jemand an meinen Tisch gesetzt hatte, was mich sehr nervös machte. Ich sah den Menschen unfreundlich an. Es war ein armseliger, schlecht gekleideter Jude, mit rötlichem, zerzaustem Bart und unruhig-ängstlichen Augen. Er trank in kleinen Schlucken einen süßen Likör und nahm so wenig Platz ein, als nur möglich. Als er sah, daß ich ihn bemerkt hatte, machte er eine erschrockene, hastige
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