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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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be­greif­lich zu ma­chen, daß das, was mich zu je­nem un­glück­se­li­gen Re­vol­ver­schuß trieb, mehr war, als die Träu­me ei­nes er­reg­ten Ge­hirns. Es war Wirk­lich­keit – ach, so schö­ne Wirk­lich­keit, und wie­der so ent­setz­lich, daß kein Le­ben­der sich das Maß von Grau­en vor­stel­len kann, das ich durch­lebt ha­be.
    Nach den vor­hin ge­schil­der­ten Er­leb­nis­sen ver­bann­te ich mei­ne Zau­ber­bü­cher in die Tie­fe ei­nes großen, ver­schlos­se­nen Schran­kes und ging oh­ne al­len Ge­hirn­bal­last auf Rei­sen. Es half mir nichts. Mein me­lan­cho­li­sches Ge­müt wur­de nicht hei­te­rer durch den ra­schen Wech­sel der Ein­drücke. Es lag ja in mir selbst, daß die Son­ne am Mit­tel­meer an­de­ren fröh­li­cher und hel­ler strahl­te als mir, daß mir die Ro­sen in Fie­so­le gars­tig und be­klem­mend duf­te­ten, daß das blaue Meer nach Fi­schen und fau­lem Tang roch. In mei­nem Au­ge muß­te ein Feh­ler sein, mein Ge­hör hat­te ge­wiß ei­ne häß­lich mit­klin­gen­de Sai­te. Wie wä­re es sonst zu er­klä­ren, daß ich an ei­ner schö­nen Frau nichts an­de­res sah als ein Flöck­chen Ruß, das der Wind an ih­re Wan­ge ge­weht und der Schlei­er ver­wischt hat­te? Daß ich in ei­nem Beetho­ven-Kon­zert die im­mer wie­der keh­ren­den An­fang­stak­te ei­nes Gas­sen­hau­ers her­aus­hör te? Warum sah ich in ei­nem Stück, das an­de­re Men­schen in ih­ren See­len­tie­fen er­schüt­ter­te, nur schmut­zi­ge So­fit­ten und die Run­zeln des Schau­spie­lers, der den ju­gend­li­chen Lieb­ha­ber gab? Ich war es! Ich litt an mir selbst!
    Ein­mal war ich ver­liebt. Ra­send, un­sin­nig – ich konn­te nur in ih­rer Nä­he le­ben. Mag die­ser Aus­druck ba­nal klin­gen – er ist trotz­dem gut. Dies­mal sah ich kei­ne kör­per­li­chen Feh­ler. Aber ich wur­de von ei­ner höl­li­schen Ei­fer­sucht ge­pei­nigt. Ich wuß­te, daß ich be­tro­gen wür­de. Ich wuß­te zu­gleich, daß es nicht so war. Ver­ste­hen Sie mich? Ich konn­te nicht an­ders – es stieß mich et­was, von der Ge­lieb­ten schlecht zu den­ken und ich quäl­te die ein­zi­ge Frau, die für mich auf der Welt war, mit mei­nem be­lei­di­gen­den Miß­trau­en, mit mei­ner höh­ni­schen Re­si­gna­ti­on, bis sie, ge­kränkt und in ih­ren zar­tes­ten Ge­füh­len roh ver­letzt, wei­nend von mir ging. Und da­mit war für mich ei­gent­lich al­les aus, dar­an bin ich auch zu­grun­de ge­gan­gen. Ganz ge­wiß.«
    Ker­dac seufz­te tief auf. Ei­ne große Schwä­che und ein Mus­kel­zit­tern, das der Vor­bo­te des na­hen En­des zu sein schi­en, kam plötz­lich über ihn. Aber dies­mal ging es noch vor­über, und er er­zähl­te wei­ter:
    »Ich kann mich an nichts er­in­nern, das mir wirk­li­che Freu­de ge­macht hät­te. Ich ha­be al­les ver­sucht und al­les hat mich ent­täuscht; ich war un­zu­läng­lich, der Freu­de un­fä­hig. Ich gab auch schließ­lich je­den Ver­such, mein Le­ben zu ver­schö­nern, als nutz­los auf und ge­riet wie­der in den al­ten Zu­stand voll­kom­me­ner Le­thar­gie. Ich stand auf, wenn ich ge­nug ge­schla­fen hat­te, aß, trank und trieb mich zweck­los und gleich­gül­tig auf den Stra­ßen her­um.
    Ei­nes Abends – ich leb­te da­mals in Pa­ris – saß ich in ei­nem Bou­le­vard­ca­fe und trank ein Glas Bier. Es war ein war­mer Re­gen­tag im Früh­jahr. Die Lich­ter spie­gel­ten sich in den nas­sen Trot­toirs. Strö­me von Men­schen ka­men vor­über. Ein­zel­ne lös­ten sich aus der Mas­se, ka­men ins Ca­fe, an­de­re, die her­aus­gin­gen, ver­schwan­den so­fort in dem le­ben­den Strom. Mich un­ter­hielt es fast, die­se klei­nen Vor­gän­ge, die ei­ner Sym­bo­lik des Le­bens gli­chen, zu be­ob­ach­ten.
    Auf ein­mal be­merk­te ich, daß sich je­mand an mei­nen Tisch ge­setzt hat­te, was mich sehr ner­vös mach­te. Ich sah den Men­schen un­freund­lich an. Es war ein arm­se­li­ger, schlecht ge­klei­de­ter Ju­de, mit röt­li­chem, zer­zaus­tem Bart und un­ru­hig-ängst­li­chen Au­gen. Er trank in klei­nen Schlu­cken einen sü­ßen Li­kör und nahm so we­nig Platz ein, als nur mög­lich. Als er sah, daß ich ihn be­merkt hat­te, mach­te er ei­ne er­schro­cke­ne, has­ti­ge

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