18 Geisterstories
mit lateinischen Buchstaben bedruckt oder sehr geschickt beschrieben.
Der Doktor blickte fragend auf den Kranken und sah dann wieder den Zettel an, als jener die Augen beharrlich geschlossen hielt. Der Inhalt war ihm vollkommen unverständlich, sowohl die Überschrift als alles andere:
Die wahren Kleinodien des Tormento.
Januarius. – Hyacinth. – Eva.
Februarius. – Amethyst. – Poppäa.
Martius. – Heliotrop. – Salome.
Aprilis. – Saphir. – Selene.
Majus. – Smaragd. – Diana.
† Junius. – Chalcedon. – Nahema. †
Julius. – Carneol. – Astarte.
Augustus. – Onyx. – Semiramis.
September. – Chrysolith. – Lilith.
Oktober. – Aquamarin. – Undine.
November. – Topas. – Roxane.
Dezember. – Chrysopras. – Helena.
Rufe alle, nur Nahema nicht!
Dr. Klaar hat laut gelesen. Wie ein verwehtes Echo klang es von den Lippen des Verwundeten: »– – – nur Nahema nicht –!«
Und dann sah Kerdac mit erstaunten Blicken, wie aus tiefem Schlaf erwacht, den Fremden an, der da an seinem Lager saß, und betrachtete die wohlbekannten Gegenstände in seinem Zimmer.
»Ich war bewußtlos?« fragte er mit schwacher Stimme. »Ich fühlte, wie ich versank – – immer weiter ins Schwarze – – –«
Ein heftiger Schauer überlief seinen Leib. Seine Hand haschte nach der des Arztes.
»Sagen Sie, – Herr Doktor –, es – ist also keine Rettung –? Wenn man eine Operation vornähme?«
Dr. Klaar sah unwillkürlich weg und versuchte, den Kranken mit den üblichen, nichtssagenden Phrasen zu trösten und ihm Mut einzureden. Es war nicht das erstemal, daß er bei einem Selbstmörder dieses entsetzliche Erwachen mitansah, die jähe Erkenntnis einer unsinnigen, jämmerlichen Tat, die nicht mehr gutzumachen war. – Er dachte an jene arme Näherin, die vor drei Wochen in seinem Spital an Phosphorvergiftung gestorben war, – bis zum Schluß trotz ihres bitteren Lebens, das sie ungeschickt und qualvoll beendigen wollte, mit allen Gedanken auf Genesung hoffend. Und doch hätte dies Gesundwerden nichts anderes für sie bedeutet, als ein Weiterschreiten auf ihrem Leidenswege, doppelt schwer zu ertragen um des kleinen, krüppelhaften und namenlosen Geschöpfes willen, das sie, verlassen wie ein Tier auf der Heide, in ihrer frostigen Dachkammer zur Welt gebracht hatte. – Glücklich die, die sich schnell zu töten wußten, die hinüberschliefen oder die das Ende blitzartig traf, mitten im blühenden Leben, so schnell, daß sie keinen Gedanken mehr denken konnten.
Kerdac hatte Tränen in den Augen, als er die Miene des Arztes sah. Aber er war tapfer genug, sich abzufinden.
»Dann will ich Ihnen alles erzählen«, sagte er leise, »Sie allein sollen es wissen.«
»Sie sollten nicht viel sprechen«, erwiderte Dr. Klaar und sah unschlüssig auf die Uhr. Er wunderte sich, daß er hier saß, anstatt die vorgeschriebene Anzeige zu erstatten.
»Bitte – bleiben Sie da – – –«
Ein tiefes Stöhnen, dem ein schluchzender Laut folgte, zeigte die krampfartigen Schmerzen Kerdacs an. Er hielt die Hand des Arztes mit hilflosen, schwachen Fingern so fest als möglich umspannt, als fürchtete er, allein und einsam sterben zu müssen, und könne ihn so halten. Als er sich ein wenig erholt hatte, begann er hastig zu sprechen; allmählich wurde seine Stimme ruhiger und vernehmlicher, wenn auch so leise, daß der Doktor sein Ohr dem Munde des Schwerverletzten nähern mußte, um ihn vor gefährlicher Anstrengung zu bewahren. Während der ganzen Erzählung hielt Dr. Klaar das seltsame Kästchen in der Hand.
»Niemand wird um mich trauern«, sagte Kerdac, »ich habe niemanden, der mich liebt. Ich bin seit meinem zehnten
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