18 Geisterstories
Jahr immer allein gewesen, ganz allein. Verstehen Sie, wie traurig das ist? Wissen Sie, was so ein armer, verschüchterter und freudloser Bub leidet? Pah –! Das kann niemand wissen! – Es ist ja so lange her. – Später, als ich aus dem Institut, in dem ich meine ganze sonnenlose Jugend verbracht hatte, herauskam, schickte man mich auf die Universität. Als ich vierundzwanzig Jahre alt wurde, erhielt ich ein Schreiben der Vormundschaftsbehörde; man gab mir mein Vermögen heraus, das ein alter, griesgrämiger Notar, der sich sonst um sein Mündel nicht gekümmert hatte, verwaltete. Ich nahm diese Tatsache mit jener stumpfen Gleichgültigkeit, mit einer Passivität auf, die mir zur zweiten Natur geworden war. Ich lebte nun besser als früher, hatte eine große, von einem kunstsinnigen Tapezierer ausgestattete Wohnung und vergrub mich in meine Bücher. Bücher kaufen war übrigens der einzige Luxus gewesen, den ich mir bisher gestattet hatte.
Ich interessierte mich, wohl infolge meines einsamen, verinnerlichten Lebens, außerordentlich für seltene, okkultistische Werke. Mit der Zeit sammelte ich eine ziemlich große Anzahl solcher Bücher, vom Agrippa von Nettesheim bis zu modern-spiritistischen Schriften. – Ich befaßte mich voll leidenschaftlichen Eifers mit der Entzifferung und Auslegung unbekannter, orientalischer Manuskripte. Nebenbei versuchte ich, praktische Magie zu betreiben. Aber abgesehen von flüchtigen Halluzinationen und visionären Traumbildern, die wohl nur infolge der dabei vorgeschriebenen Räucherungen mit aromatischen, zum Teil giftigen Stoffen entstanden, erlebte ich nichts, was mich den Geheimnissen, die ich ergründen wollte, näherbrachte. Einige Menschen, die ich im Lauf der Jahre kennenlernte und die sich im Verborgenen mit ähnlichen Dingen abgaben, behaupteten zwar, mehr als ich erkannt zu haben. Sie glaubten es vielleicht wirklich. Einmal wurde ich mit einem Menschen bekannt gemacht, der im Besitze unerhörter Zauberkräfte sein sollte und sich für einen Orientalen ausgab. Mit unerschütterlicher Geduld lauschten seine Jünger den Fantasien dieses Menschen, der im Grunde nur ein harmloser Schwindler war und sich auf seine Weise kleine Annehmlichkeiten ergatterte. Seine magnetischen Kuren veranlagten die Behörde, ihn in sein Heimatdorf in Bayern abzuschieben. Und so war auch das nichts gewesen. – Bitte, trocknen Sie mir die Stirne, Doktor!«
Der andere betupfte mit einem Tuch vorsichtig die Stirne Kerdacs, die mit großen Schweißperlen bedeckt war. Vielleicht ließ sich dies arme Leben doch noch etwas verlängern; die Nadel der bereitgehaltenen Pravaz-Spritze drang leicht durch die schlaffe Haut des Unterarmes. Die Injektion schien Kerdac wohl zu tun, er atmete tief auf und fuhr etwas lebhafter fort:
»Das habe ich Ihnen erzählt als eine der vielen Enttäu schungen, die ich erlitt. Es war immer dasselbe. In Indi en, in Darbhangah, zeigte mir ein Fakir für zehn Rupien das berühmte Wachsen des Mangobaumes. Unter fortgesetzten Beschwörungen entsproßte dem eingepflanzten Samenkern eine hellgrüne, junge Pflanze, die immer höher wuchs, nachdem sie jedesmal mit einem Tuch bedeckt worden war. Schließlich entriß ich dem schreienden Kerl Topf und Pflanze – der Samenkern war gespalten und mit großer Geschicklichkeit ein abgeschnittener Mangosprößling hineingeklemmt. Im Tuch waren noch vier Stämmchen, eins immer größer als das andere.
Warum ich das erzähle? Um Ihnen zu beweisen, daß ich kein Neuling bin in diesen Dingen und Trug von Wirklichkeit wohl zu unterscheiden vermag. Um Ihnen
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