Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
Vom Netzwerk:
ge­we­sen sei­en.
    Nein, es war viel­mehr, als hät­ten sich al­le Ge­stal­ten Sha­ke­s­pea­res un­sicht­bar um mich ver­sam­melt. Ich stell­te mir Ro­sa­lin­de und Fal­staff und Pro­spe­ro vor, wie sie mich Arm in Arm lä­chelnd be­ob­ach­te­ten. Und Sei­te an Sei­te, aber oh­ne zu lä­cheln und auch nicht Arm in Arm: Mac­beth und Ja­go und Ri­chard III.
    Ich schritt durch die ge­gen­über­lie­gen­den Ku­lis­sen, wo un­ter ei­nem trü­ben Licht Bil­ly Simp­son mit den ›Ham let‹-Re­qui­si­ten an sei­nem Tisch saß: den Schä­deln, Flo­ret­ten, La­ter­nen, Geld­ta­schen, Ophe­li­as Blu­men und all dem an­de­ren Kram. Es war selt­sam, daß Props schon so früh al­les fer­tig hat­te, und ein we­nig selt­sam war auch, daß er al­lein war, denn Props hat die für einen Schau­spie­ler un­ge­wöhn­li­che Ei­gen­art, sich über­all Freun­de zu ma­chen. Bei ihm wa­ren Po­li­zis­ten, Blu­men­frau­en, Zei­tungs­jun­gen und Tramps, die sich als ar­me Schau­spie­ler aus­ga­ben, bes­tens auf­ge­ho­ben. Er lud sie so­gar zu sich hin­ter die Büh­ne ein – ein Bruch der Re­geln, den der Prin­zi­pal in­des er­laub­te, weil Props ein so sen­si­bler Kerl war. Er war ein großer Men­schen­freund, und vor al­lem ein Freund der ein­fa­chen Men­schen. Er hät­te einen gu­ten Schrift­stel­ler ab­ge­ge­ben, wenn man ein­mal von sei­nem her­vor­ste­chen­den Man­gel an dra­ma­ti­schem Flair und Er­zähl­ge­schick ab­sieht – er war viel zu weit­schwei­fig, was wohl mit sei­nem Be­ruf zu­sam­men­hing. Jetzt saß er über sei­nen Tisch ge­beugt in der Re­qui­si­ten­kam­mer mit den lee­ren Re­ga­len und starr­te mich höh­nisch an. Auf sei­ne ho­he Stirn fiel mat­tes Licht, sein spit­zes Kinn lag im Schat­ten und sei­ne großen Au­gen husch­ten zwi­schen Licht und Dun­kel un­ru­hig hin und her. Ge­wöhn­lich grüß­te er je­den so­fort, aber heu­te abend blieb er stumm, und das paß­te zu der Il­lu­si­on.
    »Props«, sag­te ich, »durch die­ses Thea­ter weht ein über­na­tür­li­cher Hauch.« Sein Aus­druck blieb un­ver­än­dert, aber er zog fei­er­lich die Luft ein, warf sei­nen Kopf in den Nacken und streck­te sein spit­zes Kinn in das Licht, was die Il­lu­si­on im Nu zer­stör­te.
    »Staub«, sag­te er dann. »Staub, al­ter Plüsch, Ku­lis­sen, Schweiß, Ge­la­ti­ne, Pu­der und ein leich­ter Ge­ruch nach Whis­ky. Aber das Über­na­tür­li­che … nein, ich kann es nicht rie­chen. Wenn nicht …« Und er schnüf­fel­te wie­der, schüt­tel­te aber sei­nen Kopf. Ich lä­chel­te über sei­nen Ma­te­ria­lis­mus. Der Hin­weis auf den Whis­ky schi­en aus der Luft ge­grif­fen zu sein, da ich nicht ge­trun­ken hat­te, Props nie­mals trank und Gu­thrie Boyd nir­gend­wo zu se­hen war. Props hat für sen­so­ri­sche De­tails ein un­fehl­ba­res Ge­dächt­nis, be­son­ders für Ein­zel­hei­ten, die auf mensch­li­che Ge­wohn­hei­ten schlie­ßen las­sen. Viel­leicht ist er des­halb so ver­ses­sen auf De­tails, weil er Sym­pa­thie für al­le Hoff­nun­gen und Schwä­chen der Men­schen emp­fin­det, so­gar für die tri­vi­als­ten, wie mei­ne selbst­süch­ti­ge Ver­narrt­heit in Mo­ni­ca.
    »Ich mei­ne nicht einen wirk­li­chen Ge­ruch, Bil­ly«, sag te ich zu ihm, »aber ich füh­le und spü­re et­was, das heu­te nacht pas­sie­ren könn­te.« Er nick­te fei­er­lich. Bei ir­gend­ei­nem an­de­ren hät­te ich mich jetzt ge­fragt, ob er nicht ein we­nig be­trun­ken sei. Dann sag­te er: »Du warst auf der Büh­ne. Du weißt, die Science-Fic­ti­on-Schrift­stel­ler ha ben dort ei­ne Wet­te ver­lo­ren. Wir ha­ben be­reits jetzt Zeit­ma­schi­nen. Thea­ter. Thea­ter sind Zeit­ma­schi­nen und auch Raum­schif­fe. Sie neh­men die Leu­te auf Rei­sen durch die Zu­kunft und durch die Ver­gan­gen­heit und sonst­wo­hin mit – ja, und wenn sie es gut ge­nug ma­chen, dann ge­wäh­ren sie noch Ein­blick in Him­mel und Höl­le.«
    Ich nick­te nach­sich­tig. Mit solch gro­tes­ken Fan­tasi­en ver­sucht Props der Ein­tö­nig­keit zu ent­flie­hen.
    »Nun«, sag­te ich, »wir wol­len hof­fen, daß Gu­thrie an Bord des Raum­schif­fes kommt, be­vor sich der Vor­hang hebt. Wir müs­sen uns heu­te abend ganz dar­auf

Weitere Kostenlose Bücher