18 Geisterstories
gewesen seien.
Nein, es war vielmehr, als hätten sich alle Gestalten Shakespeares unsichtbar um mich versammelt. Ich stellte mir Rosalinde und Falstaff und Prospero vor, wie sie mich Arm in Arm lächelnd beobachteten. Und Seite an Seite, aber ohne zu lächeln und auch nicht Arm in Arm: Macbeth und Jago und Richard III.
Ich schritt durch die gegenüberliegenden Kulissen, wo unter einem trüben Licht Billy Simpson mit den ›Ham let‹-Requisiten an seinem Tisch saß: den Schädeln, Floretten, Laternen, Geldtaschen, Ophelias Blumen und all dem anderen Kram. Es war seltsam, daß Props schon so früh alles fertig hatte, und ein wenig seltsam war auch, daß er allein war, denn Props hat die für einen Schauspieler ungewöhnliche Eigenart, sich überall Freunde zu machen. Bei ihm waren Polizisten, Blumenfrauen, Zeitungsjungen und Tramps, die sich als arme Schauspieler ausgaben, bestens aufgehoben. Er lud sie sogar zu sich hinter die Bühne ein – ein Bruch der Regeln, den der Prinzipal indes erlaubte, weil Props ein so sensibler Kerl war. Er war ein großer Menschenfreund, und vor allem ein Freund der einfachen Menschen. Er hätte einen guten Schriftsteller abgegeben, wenn man einmal von seinem hervorstechenden Mangel an dramatischem Flair und Erzählgeschick absieht – er war viel zu weitschweifig, was wohl mit seinem Beruf zusammenhing. Jetzt saß er über seinen Tisch gebeugt in der Requisitenkammer mit den leeren Regalen und starrte mich höhnisch an. Auf seine hohe Stirn fiel mattes Licht, sein spitzes Kinn lag im Schatten und seine großen Augen huschten zwischen Licht und Dunkel unruhig hin und her. Gewöhnlich grüßte er jeden sofort, aber heute abend blieb er stumm, und das paßte zu der Illusion.
»Props«, sagte ich, »durch dieses Theater weht ein übernatürlicher Hauch.« Sein Ausdruck blieb unverändert, aber er zog feierlich die Luft ein, warf seinen Kopf in den Nacken und streckte sein spitzes Kinn in das Licht, was die Illusion im Nu zerstörte.
»Staub«, sagte er dann. »Staub, alter Plüsch, Kulissen, Schweiß, Gelatine, Puder und ein leichter Geruch nach Whisky. Aber das Übernatürliche … nein, ich kann es nicht riechen. Wenn nicht …« Und er schnüffelte wieder, schüttelte aber seinen Kopf. Ich lächelte über seinen Materialismus. Der Hinweis auf den Whisky schien aus der Luft gegriffen zu sein, da ich nicht getrunken hatte, Props niemals trank und Guthrie Boyd nirgendwo zu sehen war. Props hat für sensorische Details ein unfehlbares Gedächtnis, besonders für Einzelheiten, die auf menschliche Gewohnheiten schließen lassen. Vielleicht ist er deshalb so versessen auf Details, weil er Sympathie für alle Hoffnungen und Schwächen der Menschen empfindet, sogar für die trivialsten, wie meine selbstsüchtige Vernarrtheit in Monica.
»Ich meine nicht einen wirklichen Geruch, Billy«, sag te ich zu ihm, »aber ich fühle und spüre etwas, das heute nacht passieren könnte.« Er nickte feierlich. Bei irgendeinem anderen hätte ich mich jetzt gefragt, ob er nicht ein wenig betrunken sei. Dann sagte er: »Du warst auf der Bühne. Du weißt, die Science-Fiction-Schriftsteller ha ben dort eine Wette verloren. Wir haben bereits jetzt Zeitmaschinen. Theater. Theater sind Zeitmaschinen und auch Raumschiffe. Sie nehmen die Leute auf Reisen durch die Zukunft und durch die Vergangenheit und sonstwohin mit – ja, und wenn sie es gut genug machen, dann gewähren sie noch Einblick in Himmel und Hölle.«
Ich nickte nachsichtig. Mit solch grotesken Fantasien versucht Props der Eintönigkeit zu entfliehen.
»Nun«, sagte ich, »wir wollen hoffen, daß Guthrie an Bord des Raumschiffes kommt, bevor sich der Vorhang hebt. Wir müssen uns heute abend ganz darauf
Weitere Kostenlose Bücher