18 Geisterstories
verlassen, daß seine Kinder vernünftig genug sind, ihn hier intakt abzuliefern. Was durchaus nicht sicher ist, wenn man Sybils Worten über sie Glauben schenken darf.«
Props starrte mich wie eine Eule an und schüttelte langsam seinen Kopf. »Guthrie ist vor zehn Minuten hier eingetroffen«, sagte er, »und sah nicht betrunkener aus als gewöhnlich.«
»Das erleichtert mich«, sagte ich und meinte es auch so.
»Die Mädchen halten eine Ouija-Sitzung ab«, fuhr er fort, als ob er dazu ausersehen sei, über uns jederzeit Bericht zu erstatten. »Sie haben genauso wie du das Übernatürliche hier gerochen, und sie befragen das Brett nach dem Namen des Verbrechers.« Dann bückte er sich.
Ich nickte. Der Lichtschein aus Gertrude Graingers Garderobe bestärkte mich darin, daß die Damen dort am Ouija-Brett saßen. Props tauchte wieder aus seiner ge bückten Stellung auf und hielt eine kleine Flasche Whis ky in seiner Hand. Ich glaube nicht, daß mich ein geladener Revolver so sehr verblüfft hätte. Er öffnete den Verschluß.
»Der Prinzipal kommt gerade«, sagte er ruhig, als er die Bühnentür knarren hörte. »Jetzt sind bereits sieben von uns im Theater.« Langsam trank er einen großen Schluck Whisky und schraubte dann die Flasche mit ei ner so natürlichen Handbewegung wieder zu, als würde er allabendlich nichts anderes tun. Ich glotzte ihn kommentarlos an. Was er da gerade tat, war ganz einfach unerhört für Billy Simpson.
In diesem Augenblick vernahm ich einen scharfen Schrei und das Klopfen auf dünnes Holz. Dann hörte ich irgend etwas Metallisches gellend herunterfallen und hastende Schritte. Ich lief so schnell ich konnte zur Tür von Gertrude Graingers Garderobe, ohne mich darum zu kümmern, ob ich in der Dunkelheit über Kabel stolperte.
Ich riß die Tür auf und sah beim hellen Schein der Glühbirnen, die den Spiegel einrahmten, Gertrude und Sybil eng zusammensitzend, das Ouija-Brett umgestürzt vor ihnen auf dem Boden. Blaß und mit starrem Blick preßte sich Monica an Gertrudes Kostüme, die auf einem Ständer hingen, als wollte sie sich hinter ihnen verstec ken. Sie schien mich nicht zu bemerken. Das dunkelgrüne, schwere Brokatkostüm, das Gertrude als Königin in Hamlet trägt, unterstrich Monicas Blässe. Alle drei trugen immer noch ihre Straßenkleidung.
Ich ging auf Monica zu, legte einen Arm um sie und ergriff ihre Hand. Sie war kalt wie Eis. Monica stand erstarrt vor mir.
Währenddessen erhob sich Gertrude und erklärte in hochmütigen Tönen, was ich Ihnen schon früher erzählt habe: daß sie das Brett befragt hätten, wer der Geist sei, der heute nacht das ›Monarch‹ heimsuchen würde, und daß die Planchette den Namen Shakespeares buchstabiert hätte.
»Ich weiß nicht, warum dich das so aufregt, meine Liebe«, fügte sie mürrisch hinzu. »Es ist doch nur natürlich, wenn sein Geist die Vorstellungen seiner Stücke besucht.«
Ich spürte, wie sich der schlanke Körper in meinem Arm ein wenig entspannte. Das erleichterte mich. In meiner Eigensucht freute es mich sogar, einen Arm um sie legen zu dürfen, selbst unter so öffentlichen und wenig amourösen Umständen, während zur gleichen Zeit mein alberner Verstand etwas ganz anderes dachte. Wenn Props mich nun belogen hätte, als er sagte, daß Guthrie nicht betrunkener als gewöhnlich im Theater angekommen sei (dieser neue Props, der harten Whisky im Theater trank, konnte ja auch lügen, vermutete ich) – warum konnten wir uns dann bei der heutigen Abendaufführung nicht gleich William Shakespeares selbst bedienen. Schließlich war der Geist in Hamlet die einzige Rolle in all seinen Dramen, die Shakespeare höchstpersönlich auf der Bühne gespielt haben soll. »Ich weiß
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