18 Geisterstories
du dich selber übertroffen, Addie. Mein Lieblingsgericht – Grünkohl mit Fischköpfen!« Er war schon dran, sich eine Portion aufzuladen, als er das Ding neben seinem Teller entdeckte.
»Ja, zum Henker, was soll ‘n das?« polterte er.
»Das ist eine ganz normale Serviette«, erklärte ich.
»Ganz normal?« Opa riß die Augen auf. »Ich hab’ noch nie im Leben eine schwarze Serviette gesehen.«
Pa guckte Ma an. »Wir dachten, es sei ein besonderer Anlaß«, sagte er. »Wenn du verstehst, was ich meine …«
Opa schnaufte verächtlich, »‘ne schwarze Serviette? Ich weiß genau, was du andeuten willst, aber mir ist das schietegal.«
Und er schaufelte sich den Teller voll und hieb rein.
Wir anderen saßen einfach da und guckten uns an.
»Was hab’ ich dir gesagt?« flüsterte mir Pa verärgert zu.
Ich schüttelte den Kopf. »Wart’s ab!«
»Langt zu!« ermahnte uns Opa. »Sonst räum ich allein ab.«
Und das tat er. Seine Arme waren steif, die Finger hatten Mühe mit der Gabel, und die Kiefermuskeln wollten nicht so recht – aber er aß. Und redete.
»Ich und tot? Hätte nie geglaubt, daß mal jemand wagen würde, mir so was ins Gesicht zu sagen! Und dann ausgerechnet die Familie! Ich geb ja zu, daß ich hin und wieder stur bin, aber ich hab’s noch nie zu weit getrieben. Wenn ich positiv wüßte, daß mich der Sensenmann geholt hat, war ich der letzte, der sich dagegen sträuben würde. Ich leg keinem was in den Weg, schon gar nicht den eigenen Leuten. Bloß beweisen müßt ihr mir, daß ich nicht mehr lebe. Das ist alles, was ich verlang – einen winzigen Beweis.«
»Du, Opa …«, unterbrach ich ihn.
»Was gibt’s Junge?«
»Entschuldige, aber dir tropft der ganze Grünkohl übers Kinn.«
Opa legte die Gabel weg. »Tatsächlich. Danke, mein Junge.«
Und ehe er so recht merkte, was er tat, wischte sich Opa den Mund mit der Serviette ab.
Als er fertig war, warf er einen Blick drauf. Er guckte einmal und dann noch einmal. Schließlich legte er ganz sacht die Serviette auf den Tisch, stand auf und ging zur Treppe.
»Lebt wohl«, sagte er.
Wir hörten, wie er mit schweren Schritten die Treppe rauf und den Korridor entlang zu seinem Zimmer tappte. Die Matratze quietschte, als er sich ins Bett legte.
Dann war alles still.
Nach einer Weile schob Pa den Stuhl zurück und ging nach oben. Keiner sagte ein Wort, bis er wiederkam.
»Na?« Ma guckte ihn an.
»Alles in Ordnung«, erklärte Pa. »Er hat den Löffel für immer weggelegt. Ist jetzt droben, wo er’s schöner hat. Amen.«
»Gelobt sei der Herr!« murmelte Ma. Dann schaute sie mich an und deutete auf die Serviette. »Tu das Ding bitte weg!«
Ich nahm sie mit spitzen Fingern. Susie schaute uns erstaunt an. »Sagt einem hier keiner, was los ist?«
Ich gab keine Antwort, sondern trug die Serviette raus und warf sie in den Bach. Hatte wenig Sinn, die Angelegenheit rumzuposaunen. Aber die Waldhexe hatte recht behalten, als sie sagte, Opa würde seinen Beweis kriegen, sobald er sich den Mund abwischte.
Auf so ‘ner schwarzen Serviette sieht man nämlich die kleinen weißen Maden am allerbesten.
Der Spuk von Rammin von
Hanns Heinz Ewers
Mit wahrem Fanatismus suchte der in Düsseldorf gebo rene Hanns Heinz Ewers (1871-1943) in seinen ›seltsamen‹ Geschichten das Gespenstische und Dämonische, das Groteske und Makabere. Die besten dieser Geschichten, in der Nachfolge E.A. Poes geschrieben, sind in den Bänden ›Das Grauen‹ und ›Die Besessenen‹ gesammelt erschienen und erreichten unwahrscheinlich hohe Auflagen. Um die Bedeutung des Ewersschen Werkes verstehen zu können, muß man den Mut haben, sich in jene Sphäre böser Alpträume und satanischer Fantasmagorien hineinzuwagen, in der er mit Vorliebe grauenhafte Eindrücke sammelte und flugs in immer
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