18 Geisterstories
den Fußsohlen, aber ich blieb da.
Nach einer Weile rief ich: »He – Sie kriegen Besuch!«
»Wer da?«
»Ich bin’s – Jody Tolliver.«
»Weerr daa?«
Ich schaute auf und entdeckte eine mächtige Schreieu le, die auf einem Ast neben der Höhle hockte und mich mit ihren Funkelaugen anglotzte.
Als ich mich wieder dem Felsloch zuwandte, stand sie plötzlich da – die Waldhexe.
Ich begegnete ihr zum erstenmal im Leben, aber ich wußte genau, daß sie die Waldhexe war. Zaundürr und verschrumpelt sah sie aus. Sie trug nur ‘n paar Lumpen, und ihr Gesicht unter der altmodischen Haube war schwarz wie ein Klumpen Kohle.
Quatsch, sag ich zu mir, denk dir nix – das ist ‘ne nette alte Lady, mehr nicht!
Dann schaute sie mich an, und ihre Augen waren viel größer als die von der Eule. Sie funkelten auch doppelt so wild.
Ich spürte schon wieder dieses Kribbeln in den Fußsohlen, aber ich guckte nicht weg.
»Tag, Waldhexe«, sagte ich.
»Weerr daa?« kreischte die Eule.
»Der junge Tolliver«, rief ihr die Waldhexe zu. »Du hast wohl Wachs in den Ohren, was? Und nun sei so gut und quatsch nicht ständig dazwischen!«
Die Eule warf ihr einen bösen Blick zu und flatterte davon. Die Waldhexe kam ganz aus ihrer Höhle hervor.
»Kümmere dich nicht um Ambrose«, meinte sie. »Der ist Besucher nicht gewöhnt. Tagein, tagaus sieht er bloß mich und die Fledermäuse.«
»Was für Fledermäuse?«
»Ach, die hängen drinnen in der Höhle.« Die Waldhexe strich ihr Kleid glatt. »Ich tat dich ja gern reinbitten, aber bei mir geht’s drunter und drüber. Ich nehm mir immer vor, mal richtig aufzuräumen, doch meist kommt was dazwischen – erst der verdammte Weltkrieg, dann die Prohibition, und so fort. Ich schaff’s einfach nicht.«
»Aber ich bitte Sie!« sagte ich weltmännisch. »Es geht sowieso um geschäftliche Angelegenheiten.«
»Dachte ich mir fast.«
»Hier – ich hab’ Ihnen auch was Hübsches mitgebracht.«
»Was denn?«
»Mein Sparschwein«, erklärte ich und reichte es ihr.
»Da dank ich dir aber sehr«, sagte die Waldhexe.
»Schlagen Sie’s ruhig kaputt«, forderte ich sie auf.
Sie schmetterte es an einen Stein, und die Münzen rollten auf den Boden. Flink sammelte sie alle ein.
»Wieviel ist es denn?« fragte ich. »Ich hab’ immerhin fast zwei Jahre gespart.«
»Siebenundachtzig Cents, ‘n alter Nickel und ‘ne Plakette zum Anstecken.« Sie zahnte. »Die ist besonders hübsch. Was steht ‘n da drauf?«
»Keep cool with Coolidge!«
»Na, wenn das kein guter Rat ist!« Die Waldhexe schob das Geld ein und machte die Anstecknadel an ihrem Kleid fest. »So, junger Mann – Schönheit, wem Schönheit gebührt. Und was kann ich für dich tun?«
»Es ist wegen meinem Opa«, sagte ich. »Titus Tolliver heißt er.«
»Titus Tolliver? Aber den kenn ich doch! Hatte eine Brennerei in der Holzhütte drunten am Bach. Ist ‘n stattlicher Mann, mit ‘m schwarzen Vollbart, was?«
»War er vielleicht mal«, widersprach ich. »Inzwischen ist er ganz verhutzelt, und der Rheumatismus plagt ihn. Außerdem sieht er schlecht. Und seine Ohren taugen gar nichts mehr.«
»Jammerschade, so was«, meinte die Waldhexe. »Aber früher oder später geht es mit uns allen bergab. Und wenn’s soweit ist, muß man eben den Löffel wegschmeißen.«
»Genau deshalb bin ich hier. Er will nicht.«
»Was will er nicht?«
»Er ist tot und will das nicht einsehen.«
Die Waldhexe musterte mich scharf. »Also, das möcht ich genauer wissen.«
Na, und da redete ich los. Erzählte ihr die ganze miese Geschichte von Anfang an.
Sie hörte mir zu und sagte kein Wort. Als ich fertig war, starrte sie mich an, bis ich ‘n ganz kribbeliges Gefühl bekam.
»Ich weiß schon, daß Sie mir nicht glauben«, sagte ich. »Aber ich schwör’s, es ist die reine Wahrheit.«
Die Waldhexe schüttelte den Kopf. »Ich glaub dir schon, mein Junge. Wie
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