18 Geisterstories
holen.
Mit diesem glücklosen Schiff hatte er nicht länger zu schaffen. Von Annapolis nach Rock Hall verkehrte ein Fährbetrieb, mit guten, schnellen Booten. Er beabsichtigte das erste Boot zu nehmen, welchem das Wetter abzulegen gestattete. Er sah den Stallknechten zu, stellte fest, daß sie ihr Handwerk verstanden, und belohnte sie großzügig. Dann bestellte er sich heißen Grog und begab sich zu Bett. Durch einen außerordentlichen Glücksfall konnte er eine eigene Kammer beziehen.
Er schlief, obwohl in fiebriger Unstetigkeit. Nach jedem Erwachen lauschte er dem Wind. Am Frühnachmittag des nächsten Tages, so vermutete er, würde der Wind sich abschwächen.
Er behielt recht. Um zwei Uhr des folgenden Tages rief man in den Schankräumen des Gasthauses aus, daß um drei Uhr eine Fähre nach Rock Hall auslaufen werde. Die Überfahrt beanspruchte ungefähr vier Stunden. Inzwischen hatte er bemerkt, daß sich Gerüchte über Geschehnisse an der Front ausbreiteten; sie waren falsch, aber man gab sie weiter. Ein Handelsmann versicherte im Saloon allen Zuhörern mit großer Ernsthaftigkeit, es habe eine gewaltige Seeschlacht stattgefunden. Und so weiter und so fort. Der Colonel, der George Washingtons Depesche in der Satteltasche trug, lauschte lediglich. Natürlich machte dies Kursieren von Kolportagen die Übermittlung der Wahrheit in Gestalt der Depesche um so dringlicher. Wohlan, er hatte nun guten Wind. Und er hatte Black Damn. Er nahm an, daß er nun endlich voranzukommen erwarten durfte.
Die Fähre lief um die genannte Stunde aus. Am Sandy Point, acht Meilen nördlich von Annapolis, unterquerte sie die Bay Bridge, eine sieben Meilen lange stählerne Straße, auf der – im Jahre 1974 – Autos mit einer Mindestgeschwindigkeit von vierzig Meilen je Stunde die Chesapeake-Bucht überquerten. Auf der Fähre des Jahres 1781 erzählte ein Passagier, daß sein Großvater sich noch erinnerte, daß die Indianer mit ihren Kanus stets von der Landzunge aus über die Bucht gerudert waren, denn dort war die schmälste Stelle. »In einem halben Tag kamen sie hinüber«, schloß der Passagier.
Die Fähre hatte fünfundzwanzig Meilen in nordöstlicher Richtung zurückzulegen. Ihre Ankunft war am Abend um sieben Uhr.
Dann war Tench Tilghman an Land. Und dann auch sein Pferd. Dann lag die Straße nach Philadelphia vor Tench Tilghman. Die letzte Etappe seines Kurierritts hatte begonnen. »Reitet, Colonel. Reitet !«
Er ritt. Es war ein Anpeilen und Vorwärtsschießen. Es war Schwärze und Feuer. Eine ausgedehnte Weite der Ruhe und eine unmittelbare Umgebung aus Geräuschen. Es war eine bewegungslose Welt, worin es nur eine Bewegung gab. Sein Pferd und er. Es war Freiheit von jedem anderen Antrieb außer dem eigenen. Keine plump zusammengenagelten Planken, die auf einen nassen Sandhügel liefen. Keine Stoffbahnen, die statt seinem Willen dem Wind gehorchten, ihn nach Westen zerrten, wogegen er gen Osten wollte. Keine der Unzulänglichkeiten des Fahrzeugverkehrs. Nur er selbst, eins mit seinem Pferd. Nur Bewegung. Reiten.
Die Straße vor ihm war ein weicher, lockerer Pfad. Sie lag verlassen – niemand reiste bei Nacht. Es war finster – die Häuser der Pflanzer waren durch Meilen Weite getrennt und standen vorwiegend nicht an der Straße, sondern an den Flüssen. Er kannte den Weg gut. Er war die Strecke schon mehrfach geritten. In der Tat handelte es sich bei diesem Pfad um einen der Hauptverkehrswege des kolonialen Amerika. Nun war er für ihn lediglich eine bestimmte Entfernung. Reite!
Einhundert Meilen. Er ritt.
Black Damn flog mit ihm durch die beiden ersten Teilstrecken des Wegs, von Rock Hall über Chestertown nach
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