18 Geisterstories
Down Crossroads. Endlich vermochte der Hengst seinem ständig schwellenden Grimm den rechten Ausdruck zu verleihen. Endlich. Er haßte die Straße. Mit seinen Hufen stampfte er die Erde auf, warf sie nach hinten. In zwei Stunden galoppierte er sechsunddreißig Meilen weit. Ein Drittel der Strecke.
Als er in den beleuchteten Hof der Station zu Downs Crossroads einbog, rief er nach einem Ersatzpferd, noch während er den Hengst zügelte, bis die Stallknechte gelaufen kamen. »Ein Pferd für den Kongreß! Für den Kongreß! Ein Pferd!« Dann stieg er ab und musterte Black Damn. Er sah, daß Black Damn müde war, erschöpft – aber noch immer zornig. Der Ritt hatte ihm nicht geschadet. Der Colonel bezahlte die doppelte Summe für die Pflege voraus und wandte sich dann seinem Ersatzpferd zu. Ein großer, vierschrötiger Brauner, der Erscheinung nach mit Sicherheit von steifer Gangart. Der Colonel saß auf und galoppierte davon.
Zehn Meilen bis Warwick. Der Braune schnaufte sie innerhalb von fünfzig Minuten hinab. In Warwick rief der Colonel erneut nach Ersatz – »Ein Pferd für den Kongreß!« Dort brachte man ihm eine Stute. Sie war sanft, aber langsam. Nach Odessa waren es zehn Meilen – und sie benötigte eine unerträgliche Stunde. Er hatte die Hälf te des Weges überwunden. Fünfzig Meilen lagen noch vor ihm.
Die weiteren Pferdewechsel bemerkte er kaum. Die Stationen glichen Kreisen lautstarken Lichts neben einem langen entrollten Strang aus stiller Dunkelheit. Reiten. Das war es – das war alles. Vorwärts, vorwärts, befahl sein Verstand, und seine Bewegungen folgten dem Befehl mit automatischer Willigkeit.
Bei einem der kurzen Aufenthalte lief ein Schankmädchen heraus auf den Hof und reichte ihm einen Krug Bier. »Mit den Grüßen meines Wirtes, Sir«, sagte es. »Wir sind Patrioten.« Dann bat es ihn, den Blick ernstlich in sein Gesicht gerichtet, zu bleiben und sich eine Rast zu gönnen, für welchen Zweckerein sauberes, frisches Bett erhalten solle. Er lächelte und gab zur Antwort, er werde nochmals vorbeikommen, stubste das Mädchen unters Kinn und schenkte ihm eine Münze. Während er all das tat, war er sich der Gegenwart des Mädchens kaum bewußt.
Ebensowenig war er sich seiner Pferde bewußt. Er holte nur das Beste aus ihnen heraus, paßte mit einer aus lebenslanger Erfahrung angeeigneten Feinfühligkeit seinen Körper an die Fähigkeiten und Launen des jeweiligen Tiers an. Noch weniger bewußt war er sich seines Fiebers. Es war nie von ihm gewichen, und nun stieg es gar. In seinem Kopf hallten andere Geräusche wider als jene, die ihn begleiteten, dem Klang der Hufe. Da waren Lichter, seitlich und ein wenig hinter ihm, als verfolgten sie ihn. Er schenkte ihnen keine Beachtung. Er wußte, daß es sie nicht gab. Er würde die Strecke schaffen. Das allein zählte. Zum Haus des Kongreßvorsitzenden.
Nördlich von Newcastle stimmte sein Weg mit dem Verlauf einer vierspurigen Schnellstraße des Jahres 1974 überein. Er galoppierte zwischen riesigen, brummenden Lastwagen und Neonscheußlichkeiten dahin, in einem Verkehr, der sich ständig verdichtete. An einer Stelle ritt er durch die Ambulanzfahrzeuge, Polizeiautos und Schaulustigen eines 1974 alltäglichen Auffahrunfalls mit fünf Toten, und seine Mission glühte in seinem Bewußtsein wie eine Kohle – »Die Revolution ist aus. Cornwallis hat kapituliert. Reitet! Reite! Reite!«
Und so gelangte er des Nachts um zwei Uhr und fünfundvierzig Minuten ans Ziel. Die Hufe klapperten über das Pflaster von Philadelphia, und er zügelte sein Pferd. An der Ecke zum Oberen Marktplatz. Vor dem Haus des Kongreßvorsitzenden der Vereinigten Staaten.
Schwungvoll stieg er ab, stieg
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