18 Geisterstories
unter ihnen dürfte es wagen zu behaupten, daß er mich kennen wird, wie ich morgen sein werde?« Er hatte seine Abnahme- und Zunahmetage, heute war das letztere der Fall und der Schneider saß bereits im wahren Sinne des Wortes auf den Trümmern seiner Hoffnung. Und der Wind heulte und wütete in dem fliegenden Felde, hier häufte er Sandwehen auf, die jede Spur von Grün verschlangen, dort entblößte er erbarmungslos die armen welken Pflanzen bis auf die Wurzel, und über dem Ganzen schwebte, stets wallend und wechselnd, die dichte, hohe gelbgraue Wolke. Am Abend, als es schon zu spät war, kam das Gewitter herauf, ein gewaltiger Platzregen entlud sich und jagte unter Donner und Blitz den armen durchnäßten Schneider wieder nach Hause.
Von diesem Schlage erholte er sich nicht mehr. Hatte er sich nun bei dieser Gelegenheit erkältet, oder hatte Gemütsbewegung seine Gesundheit zerrüttet, er verfiel bald darauf in eine heftige Krankheit und nach ein paar Tagen war er begraben. Aber selbst im Grabe hatte sein armer Geist keine Ruhe. Er umflatterte und umschwebte noch immer die Stätte seiner Sorge und seiner Schuld, und indem er die feinsten ätherischen Dünste aus der Luft an sich zog, verdichtete er sich allmählich zum Gespenst.
Es möchte an der Zeit sein, die vielfachen und bedauerlichen Irrtümer, welche über die Natur der Gespenster verbreitet sind, einmal näher zu beleuchten. Eine der rohesten Anschauungen lautet: Ein Gespenst ist eine Gestalt in einem weißen Bettlaken, welche nachts zwischen zwölf und ein Uhr Unfug treibt. Ich vermute, daß diese Fabel von einem Liebhaber erfunden ist, den sein Nebenbuhler des Nachts in dieser Vermummung durchgeprügelt hat. Schon der allgemeine Glaube, daß ein Gespenst sich an gewisse engumschriebene Nachtstunden bindet, zeugt von einer betrübenden Unkenntnis der wirklichen Verhältnisse. Ich glaube des Dankes unserer verstorbenen Mitbürger, welche das Schicksal genötigt hat, sich diesem wenig befriedigenden Beruf zu widmen, gewiß zu sein, wenn ich die Ergebnisse meines eingehenden Studiums über die Natur und die Eigenschaften der Gespenster zur allgemeinen Kenntnis bringe. Vielleicht geschieht dies am besten, wenn ich ganz einfach in meiner Geschichte fortfahre und die weiteren Schicksale, welche den armen alten Schneider in seiner neuen Laufbahn trafen, ans Licht der Öffentlichkeit ziehe.
Sein Geist war also zu dem Anfang alles wirklichen Gespenstertums gelangt, er hatte wieder eine sichtbare Hülle angenommen. Diese Hülle war ein feiner ätherischer Dunst, der die Umrisse seines verstorbenen Körpers trug, und zwar mit der Kleidung, welche er im Hause zu tragen gewohnt war, die in Schlappschuhen, einem Paar Unterhosen, einer Flanelljacke und einer baumwollenen Zipfelmütze bestand. Man darf es glauben, es war ein recht armes, altes, kümmerliches Gespenst. Gar oft saß es an stillen, heißen Sommertagen auf dem kleinen Sandhügel auf den Wurzeln der alten knorrigen Kiefer und spähte nach seinem Schatten, der nicht vorhanden war. Ja selbst seinen eigenen Dunstkörper konnte es zu solcher Zeit nicht erblicken, und es gehört zu den niederdrückendsten Gefühlen von der Welt, daß man die ganze Umgebung ringsumher zu sehen vermag, nur die eigene Hand nicht, auch wenn man sie sich dicht vor die Augen hält. Nur in der Nacht bei Mondschein gegen einen dunklen Hintergrund gesehen, ward es sich und anderen sichtbar, auch leuchten die Gespenster mit einem matten phosphorigen Schimmer, der sich nur zur Nachtzeit offenbart. Aus diesen bis jetzt nicht bekannten Eigenschaften ist wahrscheinlich zu erklären, daß sich so viele irrige Meinungen
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