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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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un­ter ih­nen dürf­te es wa­gen zu be­haup­ten, daß er mich ken­nen wird, wie ich mor­gen sein wer­de?« Er hat­te sei­ne Ab­nah­me- und Zu­nah­me­ta­ge, heu­te war das letz­te­re der Fall und der Schnei­der saß be­reits im wah­ren Sin­ne des Wor­tes auf den Trüm­mern sei­ner Hoff­nung. Und der Wind heul­te und wü­te­te in dem flie­gen­den Fel­de, hier häuf­te er Sand­we­hen auf, die je­de Spur von Grün ver­schlan­gen, dort ent­blö­ßte er er­bar­mungs­los die ar­men wel­ken Pflan­zen bis auf die Wur­zel, und über dem Gan­zen schweb­te, stets wal­lend und wech­selnd, die dich­te, ho­he gelb­graue Wol­ke. Am Abend, als es schon zu spät war, kam das Ge­wit­ter her­auf, ein ge­wal­ti­ger Platz­re­gen ent­lud sich und jag­te un­ter Don­ner und Blitz den ar­men durch­näß­ten Schnei­der wie­der nach Hau­se.
    Von die­sem Schla­ge er­hol­te er sich nicht mehr. Hat­te er sich nun bei die­ser Ge­le­gen­heit er­käl­tet, oder hat­te Ge­müts­be­we­gung sei­ne Ge­sund­heit zer­rüt­tet, er ver­fiel bald dar­auf in ei­ne hef­ti­ge Krank­heit und nach ein paar Ta­gen war er be­gra­ben. Aber selbst im Gra­be hat­te sein ar­mer Geist kei­ne Ru­he. Er um­flat­ter­te und um­schweb­te noch im­mer die Stät­te sei­ner Sor­ge und sei­ner Schuld, und in­dem er die feins­ten äthe­ri­schen Düns­te aus der Luft an sich zog, ver­dich­te­te er sich all­mäh­lich zum Ge­spenst.
    Es möch­te an der Zeit sein, die viel­fa­chen und be­dau­er­li­chen Irr­tü­mer, wel­che über die Na­tur der Ge­spens­ter ver­brei­tet sind, ein­mal nä­her zu be­leuch­ten. Ei­ne der ro­he­s­ten An­schau­un­gen lau­tet: Ein Ge­spenst ist ei­ne Ge­stalt in ei­nem wei­ßen Bett­la­ken, wel­che nachts zwi­schen zwölf und ein Uhr Un­fug treibt. Ich ver­mu­te, daß die­se Fa­bel von ei­nem Lieb­ha­ber er­fun­den ist, den sein Ne­ben­buh­ler des Nachts in die­ser Ver­mum­mung durch­ge­prü­gelt hat. Schon der all­ge­mei­ne Glau­be, daß ein Ge­spenst sich an ge­wis­se eng­um­schrie­be­ne Nacht­stun­den bin­det, zeugt von ei­ner be­trü­ben­den Un­kennt­nis der wirk­li­chen Ver­hält­nis­se. Ich glau­be des Dan­kes un­se­rer ver­stor­be­nen Mit­bür­ger, wel­che das Schick­sal ge­nö­tigt hat, sich die­sem we­nig be­frie­di­gen­den Be­ruf zu wid­men, ge­wiß zu sein, wenn ich die Er­geb­nis­se mei­nes ein­ge­hen­den Stu­di­ums über die Na­tur und die Ei­gen­schaf­ten der Ge­spens­ter zur all­ge­mei­nen Kennt­nis brin­ge. Viel­leicht ge­schieht dies am bes­ten, wenn ich ganz ein­fach in mei­ner Ge­schich­te fort­fah­re und die wei­te­ren Schick­sa­le, wel­che den ar­men al­ten Schnei­der in sei­ner neu­en Lauf­bahn tra­fen, ans Licht der Öf­fent­lich­keit zie­he.
    Sein Geist war al­so zu dem An­fang al­les wirk­li­chen Ge­spens­ter­tums ge­langt, er hat­te wie­der ei­ne sicht­ba­re Hül­le an­ge­nom­men. Die­se Hül­le war ein fei­ner äthe­ri­scher Dunst, der die Um­ris­se sei­nes ver­stor­be­nen Kör­pers trug, und zwar mit der Klei­dung, wel­che er im Hau­se zu tra­gen ge­wohnt war, die in Schlapp­schu­hen, ei­nem Paar Un­ter­ho­sen, ei­ner Fla­nell­ja­cke und ei­ner baum­wol­le­nen Zip­fel­müt­ze be­stand. Man darf es glau­ben, es war ein recht ar­mes, al­tes, küm­mer­li­ches Ge­spenst. Gar oft saß es an stil­len, hei­ßen Som­mer­ta­gen auf dem klei­nen Sand­hü­gel auf den Wur­zeln der al­ten knor­ri­gen Kie­fer und späh­te nach sei­nem Schat­ten, der nicht vor­han­den war. Ja selbst sei­nen ei­ge­nen Dunst­kör­per konn­te es zu sol­cher Zeit nicht er­bli­cken, und es ge­hört zu den nie­der­drückends­ten Ge­füh­len von der Welt, daß man die gan­ze Um­ge­bung rings­um­her zu se­hen ver­mag, nur die ei­ge­ne Hand nicht, auch wenn man sie sich dicht vor die Au­gen hält. Nur in der Nacht bei Mond­schein ge­gen einen dunklen Hin­ter­grund ge­se­hen, ward es sich und an­de­ren sicht­bar, auch leuch­ten die Ge­spens­ter mit ei­nem mat­ten phos­pho­ri­gen Schim­mer, der sich nur zur Nacht­zeit of­fen­bart. Aus die­sen bis jetzt nicht be­kann­ten Ei­gen­schaf­ten ist wahr­schein­lich zu er­klä­ren, daß sich so vie­le ir­ri­ge Mei­nun­gen

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