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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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über die Er­schei­nungs­zeit der Ge­spens­ter ge­bil­det ha­ben.
    Die größ­te Pla­ge für den ar­men, un­glück­li­chen Schnei­der war die Lan­ge­wei­le, die ent­setz­li­che, bo­den­lo­se, ewi­ge Lan­ge­wei­le, wel­che sich sei­ner be­mäch­tig­te. Oh­ne Schlaf, oh­ne Ab­wechs­lung, ewig Tag und Nacht ru­he­los auf dem klei­nen Sand­fel­de um­her­ge­trie­ben, dehn­ten sich ihm die Stun­den zu end­lo­ser Län­ge. Da­zu ward er von ge­spens­ti­schen Emp­fin­dun­gen sei­ner frü­he­ren mensch­li­chen Nei­gun­gen ge­plagt. Er emp­fand zu den be­stimm­ten Zei­ten einen ge­spens­ti­schen Hun­ger und Durst, ei­ne ge­spens­ti­sche Mü­dig­keit, oh­ne das Ver­mö­gen zu ha­ben, die­se Trie­be zu be­frie­di­gen.
    Am Ta­ge saß er, wie ge­sagt, gern auf dem klei­nen Hü­gel und späh­te dann in die Land­schaft hin­aus und zu der Stadt hin­über, die fern hin­ter dem Wie­sen­grun­de zwi­schen Bäu­men ver­steckt lag, oder er wan­der­te ru­he­los an der längst ver­weh­ten Schei­de, wel­che die bei­den ver­häng­nis­vol­len Acker einst trenn­te, auf und ab. Die klei­nen blau­en Schmet­ter­lin­ge, wel­che über dem Hei­de­kraut ihr We­sen trie­ben, flo­gen un­ge­hin­dert durch ihn hin­durch, und ei­nes Ta­ges, als er ge­ra­de so stand, daß ein dür­rer Zweig in sei­nen Leib hin­ein­rag­te, kam ein klei­ner Vo­gel ge­flo­gen, setz­te sich auf die­sen Zweig und sang. Das Tier saß ge­nau in sei­nem Ma­gen, oh­ne auch nur das ge­rings­te da­von zu be­mer­ken.
    Ei­ne an­de­re Pein für den ar­men Schnei­der war, daß nie­mals des Nachts ein Mensch in die­se Ge­gend kam, wel­chem ge­gen­über er in sei­nem Be­ruf hät­te ar­bei­ten kön­nen. Wenn er auch nur ein ar­mes, al­tes und sehr küm­mer­li­ches Ge­spenst war, so hat­te er doch den Ehr­geiz sei­nes neu­en Stan­des und es hät­te ihm wohl­ge­tan, was er im Le­ben nie er­reicht hat­te, näm­lich einen Men­schen fürch­ten zu ma­chen, nach sei­nem To­de noch ge­lin­gen zu se­hen. Aber die Ge­gend war wüst und ein­sam, es hat­te am Ta­ge nie­mand dort zu tun, und noch we­ni­ger des Nachts. So kam zu al­lem noch der na­gen­de Kum­mer ei­nes ver­fehl­ten Be­ru­fes und das nie­der­schla­gen­de Be­wußt­sein, für den bes­ten Wil­len in der Welt oh­ne An­er­ken­nung zu blei­ben.
    Aber die Zeit mag noch so lang­sa­men Schne­cken­gan­ges ge­hen – sie geht doch we­nigs­tens, aus Wo­chen wur­den Mo­na­te, aus Mo­na­ten Jah­re, und im­mer noch schweb­te das ar­me al­te Ge­spenst ein­sam, ver­las­sen, oh­ne An­er­ken­nung an dem al­ten Ort.
    Doch end­lich in ei­ner wun­der­vol­len, mond­hel­len Som­mer­nacht soll­te der lang­ge­heg­te Wunsch in Er­fül­lung ge­hen. Der ge­spens­ti­sche Schnei­der saß ge­ra­de wie­der auf sei­nem Hü­gel, da hör­te sein fei­nes Ohr im Wal­de ein Ge­räusch, und kur­ze Zeit dar­auf sah er ei­ne mensch­li­che Ge­stalt, vom Mon­de hell be­leuch­tet, auf das Sand­feld her­austre­ten. Die Ge­stalt schau­te sich um und schritt dann auf den Hü­gel zu. Es schi­en ein Stu­dent zu sein, wie sich beim Nä­her­kom­men zeig­te; er trug ei­ne bun­te Müt­ze und ei­ne leich­te Wan­der­ta­sche. Das Ge­spenst zit­ter­te an al­len Glie­dern vor Auf­re­gung, es mach­te sich so lang es konn­te, ver­such­te sich ein we­nig auf­zu­bla­sen und be­müh­te sich, schreck­lich zu sein. In­fol­ge­des­sen sah es über al­le Be­grif­fe ko­misch aus. Das fand auch der lus­ti­ge Stu­dent, denn er lach­te, als er es er­blick­te und rief: »Gu­ten Abend, al­tes Ge­spenst, könnt Ihr mir nicht sa­gen, wo der Weg zur Stadt geht, ich ha­be mich ver­irrt!«
    Das Schreck­li­che, was der ar­me Schnei­der im ge­hei­men ge­fürch­tet hat­te, das Jäm­mer­lichs­te, wel­ches sei­nem Stan­de be­geg­nen konn­te, war ein­ge­trof­fen, der ers­te Mensch, wel­cher ihn sah, fürch­te­te sich nicht ein­mal vor ihm. Doch so leicht woll­te er es nicht auf­ge­ben und noch ein­mal blies er sich auf, ver­zerr­te sei­ne Zü­ge und be­gann fei­er­lich auf den Stu­den­ten los­zu­schrei­ten. Doch die­ser lach­te wie­der und sprach: »Ach laßt das nur. al­ter Herr, es klei­det Euch nicht. Ihr habt Eu­ern Be­ruf

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