18 Geisterstories
ungleich verteilt sind die Güter dieser Welt!
Nach einigen Tagen ging der Schneider wieder hinaus, um sein Land umzugraben. Wohlausgebreitet, einer Samtdecke vergleichbar, lag jetzt das nachbarliche Gut auf dem Felde. Der Schneider seufzte wieder und begann seine Arbeit. Aber der kräftige Duft, der vom Nebenlan de zu ihm herüberwehte, ließ ihm keine Ruhe und befruchtete seine Fantasie. Er sah im Geiste beide Felder nebeneinanderliegen, das eine grün und üppig bewaldet, daß man den Grund nicht sah, das andere mit niedrigen, gelbgrünen Büschen besetzt, so daß man sie vergleichen konnte den beiden Tieren, welche so fleißig für ihr Gedeihen gearbeitet hatten. Der Gedanke ließ ihm keine Ruhe und zu dem Dämon der Habsucht gesellte sich der des Neides. Und aus beider Vermählung ward die Untat geboren, welche dem armen Schneider so verhängnisvoll werden sollte. Er war der ehrlichste Schneider von der Welt gewesen, und seine Hölle war leer geblieben bis auf diesen Tag. Selbst als er dem reichen durchreisenden Herrn den Rock gemacht hatte von dem feinsten Tuche der Welt, dergleichen er nie zuvor und nie nachdem gesehen hatte, behielt er nichts zurück, als, mit Erlaubnis des Fremden, ein kleines Fleckchen, das ihm für diesen meteorglänzenden Höhepunkt seiner Laufbahn als Beweisstück diente. Es lag zu Hause, in sieben Papiere eingewickelt, wohlverwahrt in einer Schachtel. Aber der Mensch soll sich hüten, bösen Leidenschaften die Einkehr in sein Herz zu gestatten.
Er hatte aufgehört zu graben und sah sich vorsichtig um, dann stieg er auf einen Stein und reckte sich und schaute in die Ferne, daß er mit seiner dünnen Gestalt wie ein einsames Ausrufungszeichen in der Landschaft stand. Aber es war ringsherum niemand zu sehen, nur ein in Nahrungssorgen vertiefter Storch stelzte in einem fernen Wiesengrunde umher. Der Schneider brachte einen Busch zwischen sich und diesen Storch und schaute wieder auf den Nebenacker. Wie das köstlich und verheißungsvoll dalag! Dann sah er sich noch einmal vorsichtig um und schlich auf das schüsterliche Feld. Nach kurzer Prüfung schob er sein Grabscheit behutsam unter eines jener flachen Gebilde, welche, wie allgemein bekannt, nur der Kuh in dieser Vollendung gelingen und schleuderte es auf seinen Acker. Eine geschickte Verteilung des umherliegenden Materials ließ die entstandene Lücke verschwinden, und bald war die letzte Spur der Tat unter dem Sande verborgen. Mit einem Male geschah ein Klappern auf der Wiese, der Storch hüpfte mit ausgestreckten Beinen eine Weile über das Gras, hob sich dann empor und flog auf die Stadt zu. Der Schneider schrak zusammen und zitterte, ihm war, als habe der kluge Vogel alles gesehen und eile ihn anzuklagen. Doch der Schreck legte sich, und da nun der erste Schritt getan war, so folgten ihm noch manche andere, wobei der vorsichtige Schatzdieb jedoch allemal bestrebt war, die Spuren seiner Tat sorglich zu verbergen.
Sie blieb auch unentdeckt. Am anderen Tage schickte der Schuster seine Gesellen und sein Mädchen hinaus, und diese gruben wohlgemut den Acker um, ohne im geringsten an dergleichen zu denken. Dem armen Schneider fiel ein Stein vom Herzen, als in der nächsten Zeit alles still blieb. Die Ruhe seines Gemüts aber war und blieb verschwunden. Es war, als ob ein dämonisches Etwas ihn immer zu dem Kartoffelfelde hinzöge, wo die Jungfräulichkeit seiner ehrlichen Gesinnung neben so geringfügigen und niedrigen Gegenständen begraben lag. Des Abends, wenn es dunkel ward, sah man ihn den Feldweg entlang schleichen und in den Himmel nach Wolken spähen. Von Zeit zu Zeit bohrte er mit dem Fuß im mahlenden Sande, bis er auf die Feuchtigkeit kam, die sich vor den
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