18 Geisterstories
verfehlt. Warum habt Ihr kein anderes Metier ergriffen,– als Gespenst werdet Ihr es nie zu etwas bringen!«
Das war zuviel für den armen Schneider, er stieß einen wehmütigen Klagelaut aus, sank auf eine Baumwurzel nieder und verbarg das Gesicht in beiden Händen. Der Student war eine mitleidige Seele.
»Was habt Ihr denn, altes Phantom?« fragte er lieb reich und setzte sich zu ihm, »wenn ich Euch helfen kann, so tue ich es gern, ich habe zu Berlin die Schwarzkunst studiert und fürchte mich vor nichts.« Der Student redete ihm so freundlich zu, daß der arme alte Schneider das Gespenst der Rührung empfand und alles herunterbeichtete, was er auf der Seele hatte. Es war das erstemal, daß er seine Schuld offenbarte. Und wie er sprach und sich selbst anklagte, ward seine Dunstgestalt immer blasser und blasser und die letzten Worte erschallten nur noch wie aus leerer Luft. Das bloße Geständnis hatte ihn befreit. Dann hörte der Student es in einiger Entfernung aus den Lüften tönen: »Dank, Dank, du hast mich erlöst.« Dann von Zeit zu Zeit, aus der Richtung, wo die Stadt lag, kam immer ferner und leiser ein Ruf: »Dank … Dank … Dank!« Zuletzt nur noch wie ein Hauch, dann war alles rundherum still.
Der Student saß lange nachdenklich auf dem Hügel und schaute der Richtung nach, wo er die Stimme zuletzt gehört hatte. Im Osten rötete sich der Himmel, und als die Sonne emporstieg und rings alles wieder im glänzenden Licht dalag, brach er einen Zweig von der alten Kiefer, steckte ihn an seine Mütze und wanderte auf die Stadt zu, welche im Schimmer der Morgensonne vor ihm lag.
Die Klausenburg von
Ludwig Tieck
»Selbst die schönste Gegend hat Gespenster, die durch unser Herz schreiten, sie kann so seltsame Ahnungen, so verwirrte Schatten durch unsere Fantasie jagen, daß wir ihr entfliehen und uns in das Getümmel der Welt hinein retten möchten …« So entsteht nach den Worten des Romantikers Ludwig Tieck (1773-1853) das Wunderbare in der Poesie, aus dem alle romantische Dichtung erwächst, »indem wir die ungeheure Leere, das furchtbare Chaos mit Gestalten bevölkern«. Und so bemächtigt sich dieser abgründigen Märchenwelt auch das Grausige und Schreckliche, das Seltsame, Groteske und Dämonische. Märchen wie ›Der blonde Eckbert‹ und der ›Runenberg‹ (1802) haben nichts mehr mit der Naivität des Volksmärchens gemeinsam und führen bereits in das entfremdete Grauen zwischen Traum und Wahnsinn. Das Sammelwerk ›Phantasus‹ (1812-1816) leitete in Tiecks realistische Spätzeit über, in der die Novellenform vorherrscht. Seine zahlreichen späten Novellen vermitteln eine sich im Gesprächsstil entwickelnde realistische Weltsicht, die dennoch nicht Tiecks ins Bizarre und Gespenstische abschweifende Fantasie gänzlich verleugnen kann. Eine echte ›Gespenster-Geschichte‹ ist ›Die Klausenburg‹ aus dem Jahre 1837.
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Es war fast Mitternacht. Sie wird heut nicht mehr kommen, sagte der junge Graf, das Schloß liegt ihr zu fern, das Wetter ist ungewiß, die Wege sind nicht die besten.
Und, rief der junge Anselm, was wetten wir, daß sie dennoch erscheint, trotz allen Ihren Befürchtungen? denn sie reist gern in der Nacht, sie hat es versprochen und setzt alles an ihr Wort.
Wetten? antwortete Graf Theodor, ich bin kein Freund davon, aber ich wünsche, daß Ihre Vorhersagung, Baron, die Sie so dreist aussprechen, in Erfüllung geht; denn wir gewinnen alle, wenn Sie recht behalten.
Und tritt der Fall nicht immer ein? rief der hochmütige Anselm mit schnödem Tone.
Wenn Sie Ihrer Sache so überaus gewiß sind, rief Theodor ihm entgegen, so tun Sie wenigstens unrecht, Wetten anzubieten.
Anselm sagte: wenn Sie es scheuen, Geld zu wagen, so ließe
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