18 - Orangen und Datteln
verstanden.
„Schefaka“, fragte ich, „soll ich dir erzählen von dem schönen Land, von dem guten Volk deines Vaters? Soll ich dir vorsingen noch viele andere Lieder, die er gesungen hat und gespielt auf der Kamantsche?“
Ihre blauen Augen leuchteten auf in einem freudig dankbaren Blick.
„O Effendi, tue es, und ich werde für dich beten zu Allah und dem Propheten, so lange ich lebe!“
„Ja, tu es, Chodih!“ bat auch Hamsa Mertal, der Mann der schönen Enkelin des deutschen Vaterlandes. „Du sollst uns die Worte dieses Talisman übersetzen und unser Gast, der Gast den ganzen Stammes sein, so lange es dir gefällt.“
Dieser Mann und dieses Weib, sie hatten sich lieb. Wer hätte Schefaka, die Morgenröte, nicht lieben sollen! Auch der alte ‚Held Löwe‘ erhob sich. Meine Hand erfassend, bat er mit lauter Stimme:
„Herr, das Weib meines Sohnes nennt dich Effendi. Ja, du bist ein Effendi, ein großer Gelehrter und ein tapferer Krieger, der weder Furcht noch Kleinmut kennt; du bist würdig, unter die Sipah (Streiter) der Zibari aufgenommen zu werden. Du hast das Leben der Kurden geschont, trotzdem sie dich verrieten und dann in deine Hand gegeben waren. In deinem Land müssen weise Denker, kühne Streiter, barmherzige Sieger und viele schöne, treue Frauen wohnen. Die Lieder deines Volkes sind sanft wie das lispelnde Blatt und mächtig wie der brüllende Löwe. Du sollst uns von diesem Land und von diesem Volk erzählen. Du sollst unser Mivan, unser Gast, sein, und niemand soll ein Haar deines Hauptes krümmen. Wir verlangten nach deinem Rappen und nach euren Waffen; aber sie sollen dir bleiben, und wenn du von uns gehst, so werden wir dich begleiten weit über Berg und Tal, bis du in Sicherheit bist. Sere men – bei meinem Haupt, das schwöre ich dir!“
Seit jener Zeit sind Jahre vergangen, aber heute noch, wenn ich eine süße Kinderstimme lallen höre, denke ich an jenen Abend im Nebental des Zab. Denken auch jene Zibarkrieger, denkt jenes holde Weib zuweilen an mich? Chodeh te b'elit, ia schefaka – Morgenröte, Gott erhalte dich! – – –
SIEBENTES KAPITEL
Mater dolorosa
Fatima Marryah
„Du bist verrückt, Effendi, zehnmal verrückt, hundertmal verrückt, also ganz und gar verrückt, und niemand kann dich heilen, wenn du bei deinem Vorsatz bleibst. Willst du mein Weib zur Witwe und meine Kinder zu Waisen machen? Sollen auch deine Weiber und Kinder in den Fluten der Tränen ersticken und in den Wassern der Trübsal ersaufen? Wenn du darauf bestehst, diesem Fluß des Unglücks noch weiter zu folgen, so werden wir in kurzer Zeit in den Mägen der Geier, Schakale und Hyänen begraben sein!“
„Ich habe weder Frauen noch Kinder“, antwortete ich dem Sprecher. „Um mich würde also niemand trauern.“
„Allahi, Wallahi, Tallahi! Wenn dich niemand beweint, so ist das doch noch kein Grund, meine abgeschiedene Seele beweinen zu lassen! Du weißt, ich bin ein kühner Mann; aber zu diesen Kurden zu gehen, daß heißt geradezu, sich in den Rachen des sicheren Todes stürzen!“
„So bleib zurück, Feigling!“ rief mein kleiner, lieber Hadschi Halef Omar in zornigem Ton. „Du bist ein Sohn der Angst und ein Enkel der Verzagtheit. Du nennst dich kühn, aber dein Herz wackelt dir vor Furcht im Leib, wenn wir Miene machen, einen Schritt vom breiten Weg abzuweichen. Du bist uns mitgegeben, uns zu schützen, und klapperst vor Entsetzen, wenn du eine fremde Flinte erblickst. Schäme dich! Komm, Sihdi; wir wollen weiterreiten und diesen Großvater der Furchtsamkeit hier stehenlassen!“
Ich war mit Halef in Kerkuk Gast des Mutessarifs gewesen, welcher uns sehr freundlich behandelte und bei unserer Abreise einen Khawassen aufnötigte. Ich hatte zwar keine Lust, mich mit einem solchen mir ganz unnützen ‚Beschützer‘ zu befassen, denn ich reise nicht so wie andere und wußte voraus, daß ich die Aufgabe haben würde, der Beschützer unseres Beschützers zu sein; aber der Mutessarif erklärte, daß ich ohne einen Khawassen bei den Kurden verloren sei, und drängte mich so lange, bis ich ja sagte, nur um nicht undankbar zu erscheinen.
Was ich vorausgesehen hatte, trat ein: Kasem, so hieß der Khawaß, entpuppte sich als ein furchtsamer Mensch, der dazu des Kurdischen nicht einmal genügend mächtig war. Wären mir nicht die Saza- und Kurmangdschi-Dialekte geläufig gewesen, so hätten wir auf unseren weiteren Ritt verzichten müssen. Glücklicherweise besaß er eine Eigenschaft, welche
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