Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
18 - Orangen und Datteln

18 - Orangen und Datteln

Titel: 18 - Orangen und Datteln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
und mit mir zu sprechen? Es war, als ob sie meine Gedanken zu erraten verstehe, denn sie traf wieder das Richtige, als sie nun bat:
    „Verzeihe, Herr, daß ich nicht geflohen bin! Als ich den Knaben an deinem Herzen sah, konnte ich nicht fort. Und ich blieb auch aus einem anderen Grunde. Ich habe eine christliche Frau gehört und ihr geglaubt; ein Weib aber ist keine Gelehrte oder Lehrerin; ein Mann weiß besser, was falsch oder richtig ist. Du bist ein Christ und ein Mann. Sage mir um des Himmels willen, wer recht hat, Christus oder Mohammed!“
    „Christus, denn er ist wahrer Gott, von Ewigkeit geboren; Mohammed aber war ein sündiger Mensch. Mohammed hat Haschisch gegessen und seine Suren erträumt; Christus aber ist am Kreuz gestorben, um die Sünden aller Welt auf sich zu nehmen. Wer an ihn glaubt, wird selig.“
    Da schlug sie die Hände zusammen und rief nach einem tiefen Atemzug und mit einer Stimme, der ich die Tränen anhörte:
    „So bleibe ich Christo treu, und wenn mein Gebieter mich töten sollte. Er liebt mich sehr, und unser Knabe ist sein Leben; aber den Namen des Heilands darf ich nicht über meine Lippen bringen.“
    „Ist er so grausam?“
    „Er ist die Peinigung anderer gewöhnt, denn er ist der Dschellad unsers Bei. Seine Seele gehört mir, aber die meinige soll auch nur ihm und nicht Christo gehören, weil – fort, fort! Herr, lebe wohl; ich danke dir!“
    Sie hatte schnell den Knaben ergriffen und verschwand mit ihm im Harem, denn draußen waren Schritte zu hören.
    Nun war mir alles klar. Dschellad ist so viel wie Henker, Gerichtsvollzieher, Vollstrecker der Befehle des Herrschers. Das Amt eines Dschellad ist im Orient ein Ehrenamt, und der Träger desselben hat oft mehr Macht als der Wesir. Auch die geistige Frische, Lebhaftigkeit und Anschmiegsamkeit des Knaben war mir jetzt erklärlich; er war ja das Kind einer christlich gesinnten Mutter, welche ihm die zärtliche Aufmerksamkeit und wahre Liebe widmete.
    Jetzt wurde ich von Turnerstick und dem Buchhalter abgeholt. Der letztere führte uns noch einmal in den Hof, weil dort die nach Trinkgeld lüsterne Dienerschaft versammelt war. Wir verteilten einige Münzen unter sie und standen nun im Begriff, zu gehen, als es vorn an der Eingangstür klopfte. Der Schwarze eilte fort, um zu öffnen, und wir trafen mit dem Mann, welchen er eingelassen hatte, noch in der Ecke des Hofes zusammen; es war – unser Feind, der Moslem, welcher auf mich geschossen hatte.
    Als er uns erblickte, stand er erst einige Sekunden lang wie vor Betroffenheit erstarrt; dann aber brach der Grimm los. Er stieß einen unartikulierten Schrei der Wut aus, faßte mich mit der Linken an der Gurgel, zog mit der Rechten die Pistole, richtete sie auf meine Brust und drückte ab – freilich, ohne zu treffen, denn ich schlug sie ihm im letzten Moment aus der Hand und machte mich von ihm los.
    Turnerstick wollte mir zu Hilfe kommen, aber die Diener, welche soeben erst sein Trinkgeld eingesteckt hatten, fielen über ihn her, so daß er, der kräftige Seemann, sich ihrer kaum zu erwehren vermochte. Mein Gegner zog das Messer und wollte wieder auf mich eindringen; da wurde eine aus dem Harem auf den Hof führende Tür aufgerissen, und die Frau, welche den Schuß gehört hatte, trat heraus. Sie sah, daß er sein Messer auf mich zückte, und schrie entsetzt:
    „Ja issai-jidi, ja Jesuji, ja Mesihji, wakkif, wakkif – o Heilige Jungfrau, o mein Jesus, o mein Messias, halt ein, halt ein!“
    Sie streckte ihre Hände flehend aus. Er ließ das Messer fallen. Sein Weib erschien, wenn auch verschleiert, vor uns Fremden; sie nahm sich unser an, und sie bediente sich dabei der Namen, welche ihr streng verboten waren. Er starrte eine Weile wie abwesend nach ihr hin; dann befahl er ihr:
    „Hinein, hinein, sofort!“
    „Nein, nein“, antwortete sie. „Laß erst diese Männer fort; es soll kein Mord geschehen!“
    Er machte eine Bewegung, als ob er auf sie losspringen wolle; da ergriff ich seine beiden Oberarme, drückte sie ihm fest gegen die Brust und fragte:
    „Du, also du bist der Henker des Bei, du?“
    „Ja, ich bin der Dschellad. Ihr müßt sterben“, antwortete er, indem er sich loszumachen versuchte.
    „Töte uns, wenn du es fertig bringst!“ meinte ich, indem ich ihn freigab und den Revolver zog. „Dein Leben gegen das unserige!“
    In seinen Zügen waren die Spuren eines gewaltigen, inneren Kampfes zu bemerken; dann deutete er nach dem Eingang und rief:
    „Fort, fort,

Weitere Kostenlose Bücher