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könnte. Das schien aber kaum möglich. Anscheinend kannte ich Timothy doch nicht so gut.
Es liefen Scharen von kleinen Fürstinnen herum, doch sie sahen nicht so aus, als ob sie auf mich gewartet hätten. Etwas abseits standen zwei Mädels, die ganz adrett und einer netten Ansprache nicht abgeneigt schienen. Die Sängerin hatte geendet und die Mädels wippten im Takt der neuen Hintergrundmusik und trauten sich noch nicht zu tanzen. Ich nahm mir eine Flasche Sekt vom Tisch und ging auf sie zu. Sie hörten auf zu wippen.
„Wie wär's mit einem Schluck guten Schampus, die Damen?“, fragte ich eine von ihnen und hielt die Sektflasche hoch.
„Oh, äh, nein danke.“ Sie schüttelte zur Bekräftigung den Kopf, hob abwehrend die Hände. Ich war mir nicht sicher, ob sie mich überhaupt verstanden hatte. Ihre Augen starrten riesig, als ob ich ihr Heroin angeboten hätte.
„Du?“, fragte ich die andere. Sie lächelte nur verlegen.
„Sollen wir irgendwo hinfahren? Mein Wagen steht draußen“, schlug ich vor. Jetzt starrten sie mich beide an. Ich ließ die Hand mit der Sektflasche sinken. „Wollt ihr tanzen?“, fragte ich, und sie redeten immer noch kein Wort. „Na schön, nicht tanzen“, sagte ich, riss die Banderole ab, schüttelte die Flasche, und knallend flog der Korken hoch in den Himmel. Der Sekt hinterher. Einige Gäste sahen sich um. „So was schon mal gesehen?“, fragte ich die Mädels, doch sie waren verschwunden. Ich ging umher und füllte Gläser auf, trank selbst etwas, und als die Flasche leer war, ließ ich sie ins Gras fallen. Timothy war auch schon auf mich aufmerksam geworden und baute sich vor mir auf. „Du kannst nicht verlieren“, sagte er.
„Du hast einen beschissenen Goldfischteich“, sagte ich.
„Wir werden uns noch mal unterhalten.“ Und er wandte sich ab und verschwand. Ich schlenderte Richtung Grill und starrte einige Mädchen an, doch sie wandten sich pikiert ihren Begleitern zu. Am Grill häufte ich Fleisch auf einen Teller und setzte mich auf eine Holzbank, direkt neben eine Fürstin. Sie sah mich kurz an, ich lächelte zurück. Sie stand auf und verschwand. Ich stellte meinen Teller auf ihren Sitzplatz und machte es mir bequem. Mit dem Taschenmesser entkorkte ich eine Weinflasche und begann in Ruhe zu essen. Mir war etwas schwindelig.
Iris kam vorbei, und als sie mich erkannte, stürzte sie auf mich zu. „Semme, schämst du dich nicht?“, fragte sie mit vorwurfsvoller Stimme.
„Na klar“, sagte ich und nahm einen großen Schluck.
„Ann ist total fertig. Sie ist fertig mit den Nerven. Du solltest dich besser entschuldigen.“
„Wo ist denn Onkel Hank?“
Sie drehte sich um, ging weg, drehte sich nochmal um, suchte ein Wort und fand es nicht oder fand es vielleicht doch, denn sie sagte leise: „Du Schwein“, und verschwand.
Ein Kerl setzte sich neben mich. Er presste seine Knie zusammen, stellte seinen Teller darauf und schaufelte Kartoffelsalat in sich hinein. Er trug Anzug, weißes Hemd und Pomade im Haar. Seine Krawatte war wohl teurer gewesen als meine komplette Garderobe. Ich nahm einen großen Schluck aus der Weinflasche und rülpste leise. Er sah nicht mal zu mir rüber. Ich hielt ihm die Flasche hin. Ohne aufzuschauen nahm er sie und trank in großen Schlucken, setzte sie endlich ab und gab sie zurück. „Danke“, sagte er und aß weiter.
„Wir gehören nicht hierher. Meister, wir sollten aufs Garagendach umziehen“, sagte ich.
„Ich habe auch schon an etwas Derartiges gedacht“, erwiderte er. Wir standen auf, nahmen unsere Teller und traten durch die Terrassentür ins Wohnzimmer oder in den Salon oder was auch immer es darstellen sollte. Dicke schwere Möbel füllten den Raum und an der Wand hingen dunkle Ölgemälde. An der Bar reichte ich ihm eine Flasche Bourbon, die er sich in den Hosenbund steckte. Einige Umherstehende schauten missbilligend. Ich nahm noch zwei exklusiv aussehende Weinflaschen aus einem Regal und wir balancierten hintereinander die Treppe in den ersten Stock hinauf.
Dort oben war es still und dunkel. Timothy wäre nicht sonderlich begeistert gewesen, wenn er uns dort gefunden hätte. „Kennst du dich hier aus?“, fragte ich den Typen. Er nickte und öffnete eine Tür, wir standen im Schlafzimmer von irgendwem und konnten über einen Balkon ins Freie. Vom Balkon war es ein Leichtes, auf das Garagendach zu springen. Er sprang zuerst, ich reichte ihm alles, und landete nach einem unbeholfenen Sprung neben ihm.
Das Dach
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