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und fand einen Briefumschlag ohne Anschrift oder Absender auf dem Beifahrersitz. Die Frage war, ob sie ihn reingeworfen hatte, als ich noch nicht hier war, oder später, so dass sie mich hier hatte schnarchen sehen. Ich hielt den Umschlag in der Hand. Er machte alles nur wieder kompliziert. Alles begann von vorne. Ich legte den Brief ungeöffnet ins Handschuhfach, zog mir diese idiotische braune Hose aus und fuhr los.
Meine Eltern schliefen noch. Ich lief nur mit der Unterhose bekleidet in mein Zimmer und stieg gleich unter die Dusche. Ich zog frische Sachen an und deckte den Frühstückstisch in der Küche. Ich hatte keinen Hunger, doch ich freute mich irgendwie auf ein Frühstück mit meinen Eltern. Als mein Vater verschlafen erschien, murmelte er: „Habe ich wieder den Hochzeitstag vergessen?“
„Wieso?“, fragte meine Mutter aus dem Hintergrund zurück.
„Unser Sohn hat den Tisch gedeckt.“
„Dann ist was passiert“, stellte meine Mutter fest und erschien im Türrahmen. Sie sahen mich beide an. „Nichts ist passiert“, sagte ich. „Ich war nur so früh wach.“
„Das ist entschieden nichts Schlimmes“, brummte mein Vater, und sie setzten sich.
„Wie war es gestern?“, fragte ich.
„Oh, weißt du, eigentlich war es wie immer. Wir haben erzählt und gelacht und ein Glas getrunken“, sagte meine Mutter.
„Und getrunken“, bestätigte mein Vater und schlürfte mit zusammengekniffenen Augen seinen Kaffee. „Und wie war es bei dir?“
„Ja, es war ganz nett.“
„Hast du gekocht? Ich habe diese Nacht etwas im Kühlschrank gesehen“, bemerkte meine Mutter.
„Ja, ja, ich hatte gekocht, aber das hat sich dann zerschlagen. Wir waren auf Timothys Fete.“
„Dessen Eltern das Riesenhaus oben haben?“
„Genau dort.“
„Das ist aber nicht nett, dass sie dich hier mit dem Zeug hat sitzen lassen. Wie hieß das Mädchen noch?“, sagte meine Mutter kopfschüttelnd.
„Hat sich so ergeben. Können wir ja heute Mittag essen.“
„Wann bist du nach Hause gekommen? Ich habe nichts gehört“, sagte mein Vater.
„Keine Ahnung, war schon sehr spät.“
„Ich habe nur gehört, dass jemand die ganze Nacht versucht hat, hier anzurufen. Ewig klingelte das Telefon, aber ich hatte einfach keine Lust, nochmal aufzustehen“, sagte Mutter. „Warst du das?“
„Nicht, dass ich wüsste“, gab ich zurück und überlegte, ob ich nicht doch irgendwann telefoniert hatte. Meine Eltern schienen nicht besorgt über nächtliche Anrufe. Das unterschied uns vermutlich von Margarine-Familien. Ich hatte immer gedacht, dass sie sich Sorgen machen würden, wenn nachts das Telefon läutete.
„Wenn es so wichtig war, dann ruft derjenige bestimmt nochmal an“, brummte mein Vater und biss in sein Brot.
„Was machen wir heute?“, fragte ich meine Reklamefamilie.
„Hausputz“, sagte meine Mutter.
„Tja“, sagte mein Vater. „Klassische Auswahl: erstens Hecke schneiden, zweitens Rasen mähen, drittens Auto waschen.“
„Ich dachte eher an einen Ausflug“, sagte ich. „Ein Picknick.“
„Wir müssen mit dir auch mal reden. Dein Vater und ich haben uns überlegt, dass wir uns vielleicht mal für eine Zeit in den Süden absetzen wollen und uns dort die Sonne auf den Pelz brennen lassen.“
„Ihr schaut zu viel Fernsehen.“
„Nein, ich habe zu viel gearbeitet. Der Sohn legt wahrscheinlich sowieso keinen übermäßigen Wert auf die Anwesenheit seiner alten Herrschaften, oder?“, sagte mein Vater und biss wieder herzhaft zu.
„Etwas überraschend“, sagte ich. „Erst ist es euch egal, ob ich nachts anrufe. Dann zieht ihr aus. Ich mag diese Siedlung hier ganz gerne.“
„Wir verkaufen doch nicht. Wir fahren eine Zeit weg. Du bleibst hier wohnen.“
„Allein?“
„Nicht unbedingt allein. Hast du Hunde gern?“
„Oder Mädchen?“, fragte mein Vater. „Ich in deinem Alter ...“ Doch dann stoppte er nach einem Blick zu meiner Mutter und biss wieder in sein Brot.
„Denk doch mal darüber nach“, fügte meine Mutter hinzu, als ich mich erhob.
Ich ging zum Auto hinaus, schloss die Tür auf und ließ mich auf den Beifahrersitz fallen. Ich öffnete das Handschuhfach und nahm den Briefumschlag heraus. Ich riss ihn auf, zog ein weißes Blatt heraus:
11 UHR FISCH
Ich wendete das Blatt. Es stand nicht mehr darauf. Ein einfaches weißes Blatt aus einem Schreibblock, Rechenkästchen, kein Name, kein Absender. Die Schrift wirkte ziemlich dramatisch. Große Blockbuchstaben, schwarzer
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