1800 - Zeitraffer
gegenüber verfolgte, einen erneuten Wendepunkt. In der vorgezogenen Neuwahl des Ersten Terraners, ausgelöst durch eine akute Regierungskrise, unterlag der Amtsinhaber Medros Eavan einer bis dato unbekannten Kandidatin. Eavan hatte sich länger an der Macht gehalten, als von politischen Beobachtern hartnäckig prophezeit. Doch Paola Daschmagan gewann nicht nur Terra mit über 60 Prozent, sondern auch assoziierte Welten wie Olymp oder Ferrol.
Vom Jahr 1278 an verzichtete die LFT darauf, öffentlich ihre Muskeln spielen zu lassen. Protziges Machtgehabe, wie zeitweise unter Buddcio Grigor oder Medros Eavan üblich, wurde durch kluge Zurückhaltung ersetzt. Paola Daschmagan fand damit exakt jene Mischung, die ihr - im Nachhinein betrachtet -, den Posten einer Ersten Terranerin auflange Zeit sicherte. Bedrohlichkeiten für die LFT erwuchsen von allen Seiten. Das Kristallimperium glänzte durch rege Agententätigkeit; das Forum Raglund fiel durch feindselige Drohgebärden auf. Kleinere Brandherde lohten an vielen Ecken einer weitverzweigten, millionenfach verzahnten Milchstraße. Konflikte, die am einen Ende gelöscht waren, konnten Wochen später an völlig anderer Stelle wiederaufflammen.
Um die Konflikte zu bewältigen, verließ sich Paola Daschmagan auf den Terranischen Liga-Dienst (TLD) und auf die Liga-Flotte. Was ihr anfangs fehlte, das war ein Bundesgenosse mit Durchsetzungsvermögen und anerkannter Macht. Paola Daschmagan sah, dass sie einen LFT-Kommissar benötigen würde. Seit Geo Sheremdocs Tod hatte kein Erster Terraner mehr zu dieser Maßnahme gegriffen. In dieser Erkenntnis liegt - aus der Distanz des Chronisten betrachtet - Paola Dasahmagans größtes Verdienst. Der Mann, der fortan die wenig beliebte Schmutzarbeit tun sollte, wurde zwei Jahre später gefunden. Seine Ernennung war mit heftigen politischen Anfeindungen verknüpft. Es darf bezweifelt werden, ob Paola Daschmagan über die Stärke dieser Persönlichkeit in vollem Umfang informiert war; ob sie sich im Klaren war, wie sehr ihr Einfluss in der Folge sinken sollte. (Aus: Hoschpians unautorisierte Chronik des 13. Jahrhunderts NGZ; Kapitel13.7.2.) Paola Daschmagan wartete auf einer der Hochterrassen des HQ-Hanse, in der Einsamkeit eines eisigen Morgenwindes. Sie hatte nicht gefrühstückt. 90 Kilogramm Gewicht bei 1,77 Größe waren zu viel, also wollte sie ohne Nahrung auskommen, so lange es ging. Frieren am Morgen - vielleicht war das der beste Weg. Aus der Mitte der Hochterrasse erhob sich das leere Ende eines Antigravtunnels.
Und plötzlich stand eine Gestalt im Schacht: einer der beeindruckendsten Männer, die sie je gesehen hatte. Was für eine imposante Erscheinung!
Kräftige, muskulöse Unterarme ragen aus einem Hemd, das für die Höhenkälte viel zu dünn ist. Volles, welliges, dunkelbraunes Haar, im Nacken bis auf die Schultern reichend ... Dunkler Bartschatten und diese zynische Oberlippe. Er war ziemlich genau zwei Meter groß.
In natura wirkte der Mann völlig anders, als sie ihn sich vorgestellt hatte. Sie kannte ihn von einem Dutzend Holo-Videos. Da er bis vor kurzem noch als Leiter eines LFT-Stützpunktplaneten fungiert hatte, existierten Aufzeichnungen in beliebiger Menge. Er verneigte sich höflich und trat aus dem Ende des Schachtes auf die Hochterrasse. Die Erste Terranerin bat ihn heran. „Mein Name ist Paola Daschmagan", sagte sie. „Ich freue mich, dass du zu dieser frühen Stunde kommen konntest." Der Wind nahm ihre Worte mit, ließ die Stimme, die sonst so kräftig wirkte, vor Nervosität dünn scheinen. „Bitte, nimm Platz."
„Vielen Dank." Als er sich behutsam niederließ, ächzte der Stuhl. Die Beine bestanden aus Holz; bei seinem Gewicht ein nicht zu unterschätzender Gefahrenfaktor, den er sofort erkannt hatte.
Der Mann war breit wie ein sprichwörtlicher Schrank. Er trug helle, derbe Freizeitkleidung, die Paola Daschmagan an einen altertümlichen Judo-Anzug erinnerte. In Taillenhöhe wurde der Anzug von einem ledernen Gürtel gehalten. „Du bist also Cistolo Khan", sagte sie nach einer Weile. „Das ist richtig." Khan schaute sie aus seinen dunkel braunen Augen ruhig an. So verdammt überlegen. Er hatte Charisma, und zwar sehr viel mehr als Paola selbst. „Ich habe dich hergebeten, um dir eine Entscheidung mitzuteilen. Du weißt, dass die Regierung einen neuen LFT-Kommissar benennen wird?"
„Man hat es mir vor einer Woche gesagt."
„Und?" fragte sie lauernd. „Ich gehe davon aus, dass ich mich im
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