1803 - Der Riese Schimbaa
Polarregionen der Welt nach Spuren Kummerogs zu suchen. Er war ein begabter Mahner, aber er war uneinsichtig und selbstgefällig."
„Er ist nicht tot. Vielleicht hat er wirklich einen besseren Weg gefunden ..."
Aus Leibeskräften schreie ich meine Überzeugung hinaus, bis mich zwei weiß gewandete Clerea mit sich schleifen und bei wenig Flüssigkeit und kaum Nahrung für mehrere Schlafperioden einsperren.
Langsam komme ich zur Besinnung, verstehe, daß es besser ist, dem obersten Künder des Kummerog nicht zu widersprechen. Mit zehn Jahren besitzt man weder die Weisheit noch den Verstand, die Welt richtig zu sehen. Da werden lächerliche Schwierigkeiten zu riesengroßen, nicht zu bewältigenden Problemen.
Meine Mutter habe ich kaum gekannt. Ich weiß, daß meine Eltern für die Dauer der Schwangerschaft ebenso wie kurze Zeit nach meiner Geburt eine lockere Erziehungsgemeinschaft eingegangen sind, sich aber getrennt haben, als ich im Alter von vier Jahren dem Cleros zur Obhut übergeben wurde.
„Ein aufbrausendes Wesen, Gen Triokod, wird niemals helfen, den Riesen Schimbaa zu zeugen. Ich denke, du hast uns verstanden."
Drei Schlafperioden Eingesperrtsein sind Strafe genug. „Ich werde ein gelehriger Schüler sein", verspreche ich.
Der Mahner, der mich in die Geheimnisse des Gebets einweihen soll, wirkt zufrieden. „Du siehst ein, daß dein Vater längst tot ist?" fragt er.
„Er wurde aus dem Staub der Welt geboren, und zu Staub wird er wieder", antworte ich wider bessere Überzeugung.
Kein Herreach interessiert sich für den eigenen Tod oder den Tod seiner Angehörigen. Der Tod ist das Ziel unseres Daseins und der Sinn des Lebens. Wir leben, um eines fernen Tages unserem Gott Kummerog dienen zu können.
Das erste, was jeder von uns lernt, ist die Prophezeiung: Kummerog ist der Gott, der hinter den Toren des Tempels darauf wartet, von den Herreach erlöst zu werden. Und wenn die Herreach weit genug vorangeschritten sind, in ferner Zukunft, dann. werden sich die Tore öffnen, und der Gott Kummerog wird durch die Pforte zu ihnen kommen. Dann wird der Himmel sich öffnen, und eine strahlend helle Hälfte und eine dunkle werden zum Vorschein kommen.
Alle Herreach sind religiös. Ich habe nie davon gehört, jemand hätte sich gegen Kummerog ausgesprochen.
Überhaupt sind solche Gedanken erschreckend und zwingen mich, sie vor allen anderen geheimzuhalten. Was ist los mit mir? Warum fühle ich mich mehr und mehr als Ketzer, und je intensiver ich darüber nachdenke, desto tiefer verstricke ich mich in den Schlingen der Gottlosigkeit. Manchmal erscheint es mir, als folge ich den Einflüsterungen einer fremden und bösartigen Person, die von mir Besitz ergreifen will.
Ich flüchte mich ins Gebet, bin für lange Zeit ein guter und ausdauernder Schüler. Was mir an Wissen und Fertigkeit vermittelt wird, nehme ich begierig in mich auf. Wie viele Herreach suche auch ich in meinen ‘Gebeten Unterstützung und Anleitung bei den Priestern des Cleroseines Tages werde ich selbst Priester sein und fähig, die geistigen Kräfte unseres Volkes in die richtige Richtung zu lenken und den Riesen Schimbaa entstehen zu lassen.
Mit dreizehn Jahren pilgere ich erstmals zum Tempel im Zentrum von Moond. Fünf Schlafperioden lang beten wir hundert Schüler des Cleros - auf dem Tempelplatz. Wir berühren uns und lassen uns nicht mehr los und beschwören gemeinsam das Abbild des Gottes Kummerog.
Aber wir sind noch zu unerfahren. Nur ein Teil unseres Geistes zieht sich aus der Welt zurück und hinterläßt jenes Gefühl der Benommenheit, das für ein gelungenes Gebet so wichtig ist. Mit dem anderen Teil registrieren wir unsere vergeblichen Bemühungen; die Enttäuschung wächst und zehrt unser Gebet von innen heraus auf.
Ich halte am längsten von allen durch, konzentriere mich noch, als alle anderen schon losgelassen haben.
Mir ist schwindlig. Ich spüre, daß Mahner auf mich einreden, aber ich reagiere nicht. Alles in mir schreit danach, Kummerog zu sehen. Ich stelle mir vor, wie es wohl sein mag, wenn unser Gott den Tempel verläßt.
Und ich gebe ihm selbst das Aussehen, das mir passend erscheint: eine strahlende, lichtumflossene Gestalt, größer als alle Herreach und in eine weit fallende gelbe Kutte gekleidet ...
Doch die Wirklichkeit ist anders.
Tappende Schritte ...
Eine mickerige, plump wirkende Gestalt schlurft über das Pflaster des Tempelplatzes. Sie ist kleiner als ich, nicht einmal einen Meter groß, aber sie
Weitere Kostenlose Bücher