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1803 - Der Riese Schimbaa

Titel: 1803 - Der Riese Schimbaa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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kommt unverkennbar aus der Richtung des Tempeltors.
    Meine Konzentration läßt nach. Sofort beginnt die merkwürdige Gestalt zu zerfließen. Der halbwegs deutlich erkennbare Schädel formt sich zur Fratze eines Tieres, das Nas-Organ schrumpft, der Mund dehnt sich zur Freßöffnung.
    „Hör auf damit, Gen Triokod! Sofort!" Der Mahner rüttelt mich heftig an den Schultern, aber obwohl auch ich diese Zerrgestalt nicht will, kann ich mich nicht völlig aus dem Gebet lösen. Erst sein Zorn und die Schläge, die er mir blindlings versetzt, schrecken mich endgültig aus der Trance auf. Die Vision, die ich geschaffen habe, ich allein, beginnt zu verwehen. Mir ist, als würde ein Teil meiner Selbst aus mir herausgerissen.
    „Das warst du?" fragt der Mahner ungläubig.
    „Wer sonst?" stoße ich trotzig hervor. Ich weiß, daß es mir als Ungehorsam ausgelegt wird, wenn ich ihn dabei nicht anschaue, wenn ich vor mich auf das Pflaster des Tempelplatzes starre, aber ich kann nicht anders. Unter meiner Haut brodeln Gefühle, die ich nur mühsam bändigen kann. Der Cleros wird es nie schaffen, Schimbaa die Tore aufstoßen zu lassen. Viel zu sehr sind die Priester und die Jünger des Kummerog in ihren altüberlieferten Denkweisen gefangen. Sie beten wie vor vielen Generationen, sie erschaffen ihre Visionen in der streng vorgegebenen Reihenfolge und vergeuden damit ihre Kräfte, lange bevor Schimbaa überhaupt Wirklichkeit wird. Sie sind unfähig.
    Der Mahner zerrt mich hoch. Wütend starrt er mich an, dann klatscht seine Hand in mein Gesicht.
    Immer und immer wieder.
    „Du lästerst Kummerog!" keucht er. „Du ziehst den Namen des Cleros in den Schmutz. Der oberste Künder schämt sich ob deiner Aufsässigkeit."
    „Ich habe die Kraft!" schreie ich. Ich brülle ihn an, schleudere ihm meine Hoffnung und meine vermeintliche Stärke ins Gesicht. „Ich kann den Riesen Schimbaa entstehen lassen, und ich werde Kummerog befreien."
    Irgend etwas zerbricht in mir. Erst als ich mich aus dem Staub aufrichte, wird mir klar, daß er mich mit der Faust niedergeschlagen hat. Blut rinnt aus meinem Nas-Organ, der Geschmack ist widerlich und nimmt mir den Atem. Aber gerade deshalb fühle ich mich stärker als zuvor und merke gar nicht, daß ich mich selbst um Kopf und Kragen rede. Gerechtigkeit, das ist es, was ich will: eine Chance für unser Volk, Kummerog wirklich zu befreien.
    Ich knie auf dem Pflaster, stütze mich mit der linken Hand ab und wische mir mit der rechten das Blut aus dem Gesicht.
    „Ich werde lernen", stoße ich trotzig hervor. „Ich kann Schimbaa erschaffen, und ich werde es tun ..."
    „Deine Ausbildung ist beendet, bevor sie richtig beginnt! Der Cleros braucht dich nicht, Gen Triokod! - Geh wie dein Vater in die Einsamkeit und sterbe."
    Nur langsam verstehe ich, was ich getan habe. Ich blicke dem Mahner und meinen Freunden hinterher, als sie den Tempelplatz verlassen. Keiner von ihnen wendet sich noch einmal nach mir um. Sie haben mich verstoßen - alle.
    Nie wieder werde ich auf dem Tempelplatz stehen dürfen und den Riesen Schimbaa herbeirufen.
    Ich muß verrückt gewesen sein. Warum konnte ich nicht meinen Widerspruch für mich behalten und die Mahner glauben lassen, daß ich würdig bin, zu ihnen zu gehören? Würdig, die Ausbildung zu beenden und zu den Jüngern des Kummerog zu gehören. Meine Hände krallen sich in die Fugen der Pflastersteine. Ich spüre, daß ich mir die Haut und das Fleisch von den Knochen reiße, aber ich achte nicht mehr darauf. Ich will nur noch sterben.
     
    *
     
    Einen unterdrückten Aufschrei auf den Lippen, schreckte Gen Triokod hoch. Einen Augenblick lang wußte er weder wo er sich befand noch was geschehen war. Er fühlte sich matt und ausgelaugt, und der schweißdurchtränkte Kapuzenmantel klebte unangenehm auf der Haut. Stumm musterten ihn die anderen Mitreisenden.
    „Durst", murmelte einer. „Die helle Seite des Himmels zehrt uns aus."
    Ein paar Sitzbänke weiter wimmerte ein Kind. Es war kaum älter als hundert Schlafperioden, und seine Schreie klangen heiser und abgehackt. Es würde sterben.
    Gen Triokod blickte wieder hinaus auf die vorbeiziehende eintönige Landschaft. Bäume ragten in der Ferne auf, dahinter die Silhouette eines Gebirges. Über allem hingen Wolken aus Staub. Die Felder verdorrten, das Land verbrannte. Alles, wofür Generationen von Herreach gelebt hatten, würde untergehen.
    Die sich verändernde Umwelt war ein Zeichen. Vielleicht, so redeten viele, würden

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