1803 - Der Riese Schimbaa
Spießrutenlaufen. Viele von ihnen hatten inzwischen Terraner gesehen und akzeptierten kommentarlos, daß sie nicht die einzigen Intelligenzen der Schöpfung waren.
„Eine Runde für alle!"
Der Typ hinter dem Tresen plusterte den Rüssel auf. An deiner Stelle würde ich eine Menge Fragen stellen, schoß es dem Chefreporter durch den Sinn. Worauf wartest du?
„Kannst du bezahlen, Terraner?"
Sogar Bechner blieb die Spucke weg. Alles hatte er erwartet, das nicht. Das war Pragmatismus in Reinkultur. Oder interessierten sich die Herreach für nichts anderes mehr als für ihren Kummerog?
Aus einer Tasche seiner Kombination zog er Speicherchips hervor. Massenware, die man in jedem Winkel der Milchstraße nachgeworfen bekam.
„Das ist Geld", log Bechner in schulmeisterlichem Tonfall. „Auf der Erde kannst du dafür ein Haus wie dieses kaufen."
Unwahrscheinlich ausdrucksstark der Rüssel, er wirkte plötzlich zerknittert wie ein Stück zusammengeknüllte Schreibfolie. „Ich weiß nichts von der Erde", stieß der Herreach hervor. „Es gibt nur eine Welt, nämlich die Welt der Herreach."
„Ich kann dir das Gegenteil beweisen. Tausende - was sage ich, Zehntausende Welten existieren."
Eine vierfingerige Hand griff nach Bechners Atemmaske und zog ihn herum. „Toblan Ta ist ein wenig beschränkt", raunte der Herreach neben ihm. „Er wollte nie von der Szonkar-Doktrin hören. Wie ist das?
Erzählst du mir mehr davon?"
Amüsiert sah Bechner zu, wie der Herreach die defekten Speicherchips an sich nahm.
„Meine Erzählung und das Geld gegen einen Bericht über deine Welt", verlangte er. „Du beginnst."
Mißtrauische, forschende, aber auch neidvolle Blicke folgten ihnen, als sie sich zu einer der Sitzecken zurückzogen. Gloom Bechners Gegenüber hatte bereits zu tief ins Glas geschaut. Die abgehackte Sprechweise deutete darauf hin. Ebenso die Art, wie sein Rüssel von einer Seite zur anderen zuckte.
Natos Krum holte zu einem wahren Monolog aus. Mit allem, was er sagte, bestätigte er die Feststellung, daß sich die Kultur der Herreach auf einem Stand befand, der dem der Erde des 19. Jahrhunderts entsprach. Die Technik am Anfang des Industriezeitalters war noch dünn gesät. Vor allem herrschte am Fortschritt nur geringes Interesse.
Am weitesten entwickelt war die Eisenbahn. Ein Dutzend Pilger aus allen Teilen der Welt erreichten jeden Tag die Stadt Moond.
„... aber nun werden mehr kommen, sehr viel mehr. Die Telegrafen haben die Nachricht in alle Regionen verbreitet, daß eine Pforte des Tempels geöffnet wurde. Presto Go ruft die Jünger des Kummerog zusammen, und sie werden kommen und gemeinsam die unsichtbare Blockade beseitigen, die unseren Gott noch am Erscheinen hindert."
Ein Energieschirm? Bechner erfuhr genug, um zu erkennen, daß die Wissenschaftler der PAPERMOON und der Forschungskreuzer im Orbit vermutlich schon unter Hochdruck arbeiteten, um die Sperre zu neutralisieren.
„... Kummerog wird sein Volk in eine neue Zukunft führen, in eine Zeit, in der die Herreach ihre Erfüllung finden. Presto Go, die oberste Künderin, ist bereit, den Weg zu öffnen. Alle Mahner und ein Riesenheer von Clerea, werden ihr zur Seite stehen, eine Macht, wie die Welt sie bis heute nie gesehen hat."
Natos Krum schluckte schwer. „Presto Go hofft, daß Gen Triokod und seine Freiatmer der Vollendung ihres großen Plans nicht in die Quere kommen werden."
„Triokod?" fragte Sibyll Norden schnell.
Das Nas-Organ pendelte wieder.
„Man munkelt von ihm, er spüre in sich die Macht, Schimbaa tanzen zu lassen. Aber das ist nicht gut, er darf niemals Gelegenheit haben, dies am Tempel zu tun, er ..."
Zuerst war da nur ein schwaches, kaum merkliches Vibrieren. Dann begannen die Gläser und Krüge auf den Tischen zu klirren.
„Alarmstart der PAPERMOON?" argwöhnte Sibyll Norden.
Die Erschütterungen währten nur Sekunden. Danach war alles wieder wie zuvor. Keiner der Herreach zeigte sich davon irgendwie beeindruckt.
„Wer ist Presto Go?" fragte Adasta.
„Ich sagte es doch schon: die oberste Künderin des Kummerog. Gemeinsam mit ihren Priestern und den Jüngern des Kummerog wird sie den Riesen Schimbaa entstehen lassen und den Weg aus dem Tempel öff..."
Aus der Tiefe stieg ein dumpfes Rumoren empor und steigerte sich innerhalb eines einzigen erschreckten Herzschlags zum bedrohlich wirkenden Grollen, das sich wie eine Welle der Erschütterung ausbreitete. Zwei oder drei starke Erdstöße folgten - so genau
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