1809 - Werwolf-Falle
sie ihn ansprechen sollte, ließ es jedoch bleiben und wartete auf ihren Galan.
Er hätte jetzt kommen können, tat es aber nicht. Er blieb zwischen zwei Baumstämmen stehen, wartete noch eine Weile, dann gab er sich einen Ruck und ging auf seine Artgenossin zu …
***
Helene Schneider oder die Werwölfin Helene Schneider tat nichts. Sie ließ den Werwolf kommen, und ihr Instinkt sagte ihr, dass sie sich nicht vor ihm zu fürchten brauchte.
Er wusste, wo sie stand, und es dauerte nicht lange, da hielt er dicht vor ihr an.
Beide beschnüffelten sich.
Beide hielten ihre Mäuler halb geöffnet und stießen weiße Atemwolken aus. Niemand gab einen Laut von sich. Jeder schien darauf zu warten, dass der andere anfing.
Es tat sich nichts.
Bis es der Wolf leid war. Er knurrte die Wölfin an und ging auf das Haus zu. Ob sie ihm folgte, schien für ihn keine Rolle zu spielen. Er drehte sich nicht einmal um, dann hatte er einen Sitzplatz gefunden.
Er wartete auf die Werwölfin, die ihm langsamer gefolgt war.
Helene wusste, dass sie sich erst noch einen Platz erobern musste, sonst würde sie für immer eine Einzelgängerin bleiben.
Es war nicht leicht, eine Entscheidung zu treffen, in diesem Fall aber hatte sie nur Blicke für den Werwolf.
Und er nur für sie. Er sah nicht aggressiv aus, fast liebevoll kümmerte er sich um ihr Wohlergehen. Er strich mit seinen Pranken durch ihr Gesicht. Es war die zärtliche Geste oder Bewegung einer Bestie.
»Jetzt bist und bleibst du bei mir«, flüsterte er.
Das war ein Wunder, denn er konnte tatsächlich sprechen, und sie hatte jedes Wort gehört. Sie wollte ihm eine Antwort geben und musste erkennen, dass es nicht ging. Es blieb beim Versuch, beim Willen, aber das war auch alles.
Er lachte.
Ein normales Lachen war es nicht, sondern mehr ein kehliges Krächzen, dann sagte er wieder etwas. Leider so undeutlich, dass sie nichts davon verstand.
Doch dann sagte er ein Wort, das sie deutlich verstand.
»Blut?«
Sie nickte.
Wieder erklang das kehlige Lachen. Dabei schlug er ihr auf die Schulter, griff dann nach ihrem Arm, hielt ihn fest und schob die Werwölfin aus der Hütte in den Wald hinein …
***
Ulrike Schneider wusste nicht, ob sie sich richtig verhielt. Die beiden Männer waren weg, und jetzt fiel ihr ein, dass sie sich noch gern weiter mit ihnen unterhalten hätte. Aber das hätte sie sich früher überlegen müssen, jetzt waren die beiden weg und würden so schnell nicht wieder hier bei ihr sein.
Die beiden Männer waren momentan die einzigen Gäste in ihrer kleinen Pension. Einen Schlüssel hatten sie bekommen. Sie konnten also gehen und kommen, wann sie wollten, und sie rechnete damit, dass die Gäste erst sehr spät zurückkehrten.
Es waren Männer, auf die man sich verlassen konnte. Dafür hatte die Frau einen Blick, und sie wusste auch, dass sie nicht bei ihr waren, um Ferien zu machen. Die hatten hier eine Aufgabe zu erledigen. Als Ulrike Schneider daran dachte, schoss ihr sofort eine Idee durch den Kopf.
Auch sie hatte das Heulen gehört. Auch sie wusste, dass es nicht natürlich war, denn ein normaler Wolf heulte anders.
Wer hatte so geheult?
Es gab für sie nur die einzige Erklärung.
Ein Wolf!
Aber ein Wolf in dieser Gegend?
Und dann war Helene von einem Tag auf den anderen verschwunden.
Dann hatte man das Heulen des Wolfs gehört und von einem Werwolf gesprochen. Da konnte man schon Angst haben, dass er auf Menschenjagd ging und auf Helene getroffen war.
Je mehr Zeit verging und sie sich nicht meldete, umso größer wurden die Sorgen.
Ins Bett gehen?
Nein, nicht am heutigen Abend. Sie wollte wach bleiben, was ihr nicht so schwer fiel, denn das war sie gewohnt. In ihrem Haus gab es mehrere Glotzen, auf den Zimmern keine, aber wer fernsehen wollte, der konnte sich in den Frühstücksraum setzen.
Sie stand am Fenster. Das Bett befand sich hinter ihr. Sie hätte sich hineinfallen lassen können, was sie aber nicht tat. Sie wollte wach bleiben und hatte sich deshalb einen starken Kaffee gekocht, den sie in langsamen Schlucken trank.
Der Winter hatte das Land voll im Griff, obwohl noch kein oder nur wenig Schnee gefallen war. Das sollte sich ändern. Im Westen schneite es bereits in dieser Nacht, und der weiße Flockenwirbel würde auch in den Osten ziehen.
Sie sagte nichts. Das war nicht wie an anderen Abenden, an denen sie öfter mit sich selbst sprach, was sie gern tat, denn sie bekam keine Widerrede. Ein Gefühl sagte ihr, dass heute noch
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