181 - Der ewige Turm
Tausendfüßler aussahen. Wieder wehrten sich Rulfan, Sulbar und Halil ihrer Haut, so gut sie eben konnten. Bei Einbruch der Morgendämmerung flohen sie mit dem letzten Verwundeten auf ein Felsplateau.
Doch die Aale waren ausgehungert, und gute Kletterer waren sie auch. Sulbar war der Einzige, der ihnen solche Fähigkeiten zutraute, und ausgerechnet er gestattete sich während seiner Wachschicht ein oder zwei Minuten Schlaf. Als er durch Chiras Gebell daraus hoch schreckte, hörte er das Gebrüll des verwundeten Matrosen am Fuß des Felsplateaus. Es klang, als würde dort unten ein Mensch in siedendem Öl gebadet. Die Brandung wischte die Todesschreie weg, und die Aale kehrten nicht zurück.
Als die Sonne aufging, suchten sie das Strandgut nach Holz ab, das die Wellen an die Küste der Felsinsel gespült hatten. Sie achteten gewissenhaft darauf, dass keiner von ihnen auch nur einen Atemzug lang allein unterwegs war. Sie trugen eine Menge Bruchholz und Geäst zusammen. Bald schichteten sie das feuchte Holz auf dem Felsplateau auf. Die Mittagssonne trocknete es.
In der Abenddämmerung entzündeten sie den Holzstoß, gegen Mitternacht entdeckten sie Lichtsignale in der Dunkelheit auf dem Meer.
Eine Stunde später landete ein Ruderboot am Strand und nahm sie auf, und im Morgengrauen standen sie eng aneinandergedrängt am Bug eines großen Fischerbootes.
Acht hagere und braungebrannte Fischer hatten ihr Feuer auf der Rückfahrt in ihren Heimathafen entdeckt.
Der Kapitän, ein älterer Mann namens Ruulay, kannte die Felsinsel und wusste, dass auf ihr niemand zum Spaß ein Feuer entzünden würde. Zwei der jüngeren Fischer waren Ruulays Söhne, doch auch die anderen fünf verhielten sich ihm gegenüber wie Söhne: respektvoll, gehorsam und fast ein wenig scheu.
Die Männer waren wortkarg, und irgendwie kamen sie Rulfan bedrückt vor. Er vermutete zunächst, dass es an den Strapazen und der Todesnähe lag, die sie erlebt hatten, denn einer von ihnen berichtete in dürren Worten, dass sie in einen Seesturm geraten waren. Fast hätten sie das Schiff und ihr Leben verloren. Acht Tage später als geplant segelten sie nun den heimatlichen Hafen an.
Als zwei der Männer Rulfan, Sulbar und Halil gegen Mittag weckten und ihnen geräucherten Fisch und Wasser anboten, erfuhren die Geretteten, dass die Fischer zu einem von fast zwanzig Stämmen gehörten, die in einer Ruinenstadt dreißig Kilometer entfernt von der Küste lebten.
»Kalumpu heißt sie«, erklärte Charlondo, ein junger, für die Gegend ungewöhnlich hoch gewachsener Fischer.
»Aber so nennen nur die Fremden unsere Ruinen. Die meisten Einheimischen sagen einfach Ka'El.«
Charlondo hatte große blaue Augen, auch das unterschied ihn von Sulbar, Halil, den anderen Fischern und den meisten Eingeborenen, mit denen Rulfan bislang zu tun gehabt hatte.
»Ein grausamer Männerstamm beherrscht die Ruinen, der Kometenfürst und seine Turmherren. Schon seit fast dreihundert Jahren. Die meisten Stämme zollen ihnen seit ewigen Zeiten Tribut. Eigentlich sind die Turmherren kein Stamm, sondern eine Bande, denn die meisten ihrer Kämpfer gehören nicht durch Geburt dazu.«
»Sondern?«, fragte Rulfan.
»Wer das Abenteuer sucht, wer den blutigen Kampf und den Krieg liebt, begehrt die Aufnahme in der Turmherrenrotte«, antwortete der zweite der beiden Jungfischer. Er hatte schwarze Schlitzaugen, war kleiner als Charlondo und ein wenig kräftiger gebaut. Sein Name war Honbur.
Honbur und Charlondo sprachen leise und mit heiserer Stimme. Es war offensichtlich, dass sie von Dingen erzählten, die ihnen Angst machten. Das wunderte Rulfan, denn die jungen Fischer wirkten mutig und kampferprobt. Charlondo, wie gesagt, überragte sogar die meisten anderen um mindestens einen Kopf.
»Viele Männer, die wegen eines Verbrechens von ihrem eigenen Stamm ausgestoßen oder verfolgt wurden, schließen sich den Turmherren an«, sagte Charlondo.
»Vorausgesetzt natürlich, sie bestehen die Mutprobe.«
»Wie hoch ist der Tribut, den die Bande fordert?«, wollte Rulfan wissen.
»Einmal im Monat Fisch, Fleisch und Früchte für zweihundert Männer, und einmal im Jahr…«, Honburs Stimme brach. Beide Jungfischer senkten die Köpfe.
»Und einmal im Jahr eine Jungfrau«, flüsterte Charlondo.
»Was sagst du da?« Rulfan glaubte nicht recht zu hören. »Und das von jedem Stamm?«
»Zwei Stämme Ka'Els sind sehr groß, fast fünfhundert Köpfe. Sie zahlen das Doppelte und liefern zwei
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