181 - Der ewige Turm
was du redest, Bursche!«, zischte die Älteste. »Die Jugend macht dich blind und tollkühn zugleich!«
»Misch dich nicht ein, Halil«, raunte Sulbar seinem jüngsten Seemann zu. »Was gehen uns die Probleme dieser Fremden an?«
Rulfan bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick.
»Wollt ihr für alle Zeiten Sklaven dieser Diener Orguudoos bleiben?«, wandte er sich an die Menge.
»Sollen noch die Kinder eurer Kinder den Lohn ihrer Hände Arbeit diesen Tyrannen in den Rachen werfen? Und sollen noch die Töchter eurer Urenkel in Angst und Schrecken leben müssen?« Er blickte in die Gesichter der Moscherunen – überall Verzweiflung, überall Hass.
»Habt ihr nicht gute Köpfe, um einen klugen Kampf gegen eure Unterdrücker zu planen? Und habt ihr nicht Waffen und starke Arme, die sie führen könnten?«
Der Scheiko trat zu dem großen Albino und sah zu ihm hinauf. »Du kennst die Turmherrenrotte nicht, Rulfan von Coellen. Sie sind überaus grausam, und sie fürchten nicht einmal den Tod.«
Sulbar beugte sich zu Rulfans Ohr. »Ich habe mein Schiff verloren«, flüsterte er, »und bis auf diesen hitzigen Jungen ist mir niemand geblieben von meiner Besatzung. Ich habe meine eigenen Probleme; sollen diese Leute hier sehen, wie sie ihre lösen.«
Rulfan antwortete nicht. Aus der Menge der Moscherunen aber trat ein junges Mädchen, ganz in schwarze Gewänder gehüllt. »Der Fremde hat Recht.« Sie streifte den schwarzen Schleier von ihrem Kopf. Lange dunkle Locken fielen ihr auf die Schultern. Sie war blass, aber ihre schwarzen Augen glühten. »Vielleicht müssen viele von uns sterben, aber wenn wir es wagen, uns zu widersetzen, werden vielleicht auch die anderen Stämme sich dem Kampf anschließen.«
»Bist du dumm, Sayona?«, schrie die Älteste. »Hast du nicht gehört, wie es dem Bankerstamm erging?« Sie packte das Mädchen an den Schultern und schüttelte es.
»Ruft eure Tochter zur Ordnung«, sagte der Scheiko an Ruulays und Eynayas Adresse. »Ihre Worte sind wie tödliche Fallen!«
»Und wenn wir alle sterben müssten!« Das Mädchen riss sich von der Ältesten los und drehte sich zur Menge um. Rulfan begriff, dass es Ruulays Tochter, Honburs Verlobte und die Schwester der ausgelieferten und geflohenen Jungfrau war. »Und wenn wir alle sterben müssten, meine Brüder und Schwestern, wäre das nicht besser, als in dieser Würdelosigkeit weiterzuleben?«
»Gibst du wohl Ruhe?« Die Älteste begann auf das Mädchen einzuschlagen. Eynaya sprang herbei und stellte sich schützend zwischen sie und ihre Tochter.
»Es ist wahr, was Sayona da sagt!«, rief ein Mann aus der Menge. Andere stimmten ihm zu. Vor allem Halbwüchsige und Kinder forderten, den Kampf gegen die Turmherren endlich aufzunehmen. Wieder andere stießen Warnungen aus und beschimpften Rulfan, Sayona und Halil. Ein Palaver brach aus, so hitzig, dass einige junge Jäger auf ein paar Ältere losgingen, die ihre Stimmen gegen den Widerstand erhoben hatten. Sayona wurde von drei alten Frauen angegriffen. Die Versammlung drohte im Chaos einer Schlägerei zu enden. Der Scheiko und die Älteste mussten dazwischen gehen.
»Da siehst du, was du angerichtet hast«, zischte Sulbar dem Albino zu.
»Na und?«, antwortete Halil anstatt Rulfan. »Wird doch allerhöchste Zeit, dass in dieser miefigen Ruine endlich mal die Wahrheit gesagt wird!«
Dem Scheiko und der Ältesten gelang es endlich, die Streithähne voneinander zu trennen. »Hört mich an!«, rief der Scheiko. »Vielleicht haben die Dämonen uns die drei Fremden geschickt, vielleicht auch der Gott! Vielleicht sprach die Stimme des Verführers aus den Worten Rulfans von Coellen, vielleicht aber auch die Stimme eines Gottesboten! Wissen wir es, ohne gründlich nachzudenken? Wissen wir es, ohne den Gott selbst zu befragen?«
Die Männer und Frauen des Stammes schwiegen. Viele senkten die Köpfe, andere schossen giftige Blicke auf Rulfan und Sayona ab. »Lasst uns also eine Ratsversammlung abhalten und den Gott befragen!«, fuhr der Scheiko fort. »Jeder gehe nun in die Kammer seiner Sippe, jeder denke nach und schlafe anschließend ein wenig. Morgen früh, kurz bevor die Sonne aufgeht, wollen wir uns hier in der Moscherunenhalle treffen.«
Die Leute murrten, zischten und tuschelten. Aber sie gingen auseinander, liefen in den Innenhof und stiegen die Leitern und Treppen zur Galerie hinauf.
Rulfan, Sulbar und Halil wies man einen kleinen Raum in einem Teil des Gebäudes zu, in den man durch
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