181 - Die Hölleneiche
du schon gefrühstückt?«
»Nein.« Er sah sie verständnislos an. »Du weißt, was vorgefallen ist - und denkst an Frühstück.«
»Weil es wichtig ist, daß du bei Kräften bleibst«, erklärte Janice.
Sie war froh, ihren Großvater betreuen zu können, das lenkte sie ab. So stark, wie es den Anschein hatte, waren ihre Nerven nämlich nicht.
Als sie allein in der Küche war, zeigte sich, daß sie sich Sorgen machte. Schatten, die sie nur verdrängen konnte, wenn sie bei ihrem Großvater war, lagen über ihren Augen.
Ein schreckliches Ende hatte Claire Davis ereilt.
Was genau passiert war, wußte Janice nicht, und sie hoffte, es nie zu erfahren. Vielleicht wäre Claire zu retten gewesen, wenn wir schneller auf den Teufelssensor reagiert hätten, dachte Janice.
Sie fühlte sich irgendwie mitschuldig an Claire Davis’ Tod. Das war eine schwere Gewissenslast, die sie von nun an tragen mußte.
Nach dem Frühstück sagte Kingsley grimmig: »Vincent Keel dachte, bei mir wäre eine Schraube locker, als ich ihm vom Höllenbaum erzählte. Als er dann die Tote in meinem Wagen sah, konnte er meine Geschichte nicht mehr als bloßes Hirngespinst abtun. Aber daß Claire Davis ein Opfer des Höllenbaums wurde, glaubt er noch immer nicht. Er nahm nur zu Protokoll, daß die junge Witwe dort draußen am Baum gehangen hat, aber für ihn war es Selbstmord. Davon ist er nicht abzubringen. Was über den Höllenbaum berichtet wird, tut er in den Bereich der Ammenmärchen ab. Ich fürchte, er wird seine falsche Meinung bald revidieren müssen.«
Janice fragte, ob er bequem liege und ob sie noch irgend etwas für ihn tun könne.
»Setz dich zu mir!« verlangte Kingsley.
Sie stellte einen Stuhl vor das Sofa und nahm darauf Platz.
»Wenn du Barrygate partout nicht verlassen möchtest, müssen wir uns vor den Teufeln des Höllenbaums zu schützen versuchen«, erklärte der alte Mann.
Janice hätte nicht sagen können, wie dieser Schutz aussehen sollte. Wer hat schon Erfahrung im Umgang mit finsteren Mächten?
Die wenigsten Menschen wissen, was in solchen Fällen zu tun ist.
»Wir müssen improvisieren«, sagte Kingsley. »Das Kreuz hat mir wertvolle Dienste geleistet. Wir besitzen insgesamt drei Kreuze. Jedes ist geweiht… Weihwasser könnten wir auch sehr gut gebrauchen.«
»Ich hole welches aus der Kirche«, sagte Janice.
»Wir sollten alle warnen, aber niemand würde uns glauben, außer Kip Thorpe - vielleicht. Weißt du, was Sergeant Keel gesagt hat? Wenn ich die Leute kopfscheu machte, könnte ich was erleben. Der brächte es fertig, mich einzusperren, dieser verrückte Kerl.«
»Ich hole das Weihwasser«, sagte Janice und verließ das Haus mit einer Plastikflasche.
Als sie zurückkam, empfahl ihr Kingsley, sämtliche Eingänge und Fenster - auch jene im Keller und im Obergeschoß - mit dem Weihwasser zu bespritzen.
»Ringsherum, den ganzen Rahmen«, sagte er. »Und über der Haustür schlägst du einen Nagel in die Mauer. An den hängst du dann eines der Kreuze, aber nicht das silberne. Das behalten wir bei uns. Wir igeln uns ein. Wenn wir eine Barriere schaffen, die die Teufel nicht überwinden können, müssen sie uns in Ruhe lassen.«
Janice machte alles so, wie es ihr Großvater sagte.
Mehr als eine Stunde dauerte die Arbeit.
Die Küchentür führte in den Gemüsegarten. Auch dort hängte Janice ein Kruzifix auf.
Müde und mit zerzaustem Haar setzte sie sich wieder auf den Stuhl, der vor dem Sofa stand.
»Tja«, sagte der alte Mann und legte seiner Enkelin die Hand auf den Arm. »Das ist alles, was wir tun können. Nun müssen wir hoffen, daß es reicht.«
***
»Barrygate«, sagte Lisa Whitfield und wies auf die kleine Ansammlung von Häusern um einen Kirchturm aus grauem Sandstein. »Ein ödes, langweiliges Nest, aber ich fühle mich wohl hier. Es ist nicht weit in die Stadt. Wenn ich von Barrygate mal die Nase voll habe, steige ich in den Wagen und lasse mir 45 Minuten später den Mief der Großstadt um die Nase wehen. Danach kehre ich zumeist sehr gern - fast reumütig - hierher zurück. In Barrygate ist die Luft noch atembar. Wenn man uns nicht irgendwo in der Nähe eine Fabrik vor die Nase setzt, wird das wohl noch sehr lange so bleiben.«
»Ein stilles, verträumtes Dörfchen«, stellte Vicky Bonney fest. »Der Begriff ›Aufregung‹ scheint hier ein Fremdwort zu sein.«
»Ich liebe Barrygate - obwohl es so nichtssagend ist.«
Lisa verlangsamte die Fahrt.
Sie schaute nach links.
Vicky folgte
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