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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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rollten. Er drückte sich das Tuch vor die Augen und ließ nun dem süßen Strom, der ihm die beklemmte Brust erleichterte, freien Lauf.
    »Der Gipfel links, das ist der Sempione«, erklärte der Postillon, indem er sich zu Biankas altem Diener wandte. – »Werden wir bald oben sein?« fragte dieser. – »Im Dorfe sind wir bald, dann haben wir noch zwei Stunden bis zum höchsten Gipfel, wo das Hospizium gebaut wird. Allein der Bau liegt schon seit einem Jahre still, denn es fehlt am Besten, am Gelde. Aber vorwärts!« Damit schwang er die Peitsche, und in kurzer Zeit hatte man das Dorf Sempione, das dicht unter dem Schneegipfel des Berges zu liegen scheint, erreicht.
    Es war hier schon empfindlich kalt. Nur wenige Augenblicke verweilten die Reisenden, um sich durch eine flüchtig genossene Mahlzeit und ein Glas warmen Weines zu stärken, denn Bianka trieb fortwährend zur Eile an. Mit dem Frühling war es nun bald vorüber, denn nach kurzer Zeit befand man sich mitten im Schnee, der von beiden Seiten hoch aufgeschüttet war. Da die Straße nicht gar steil anstieg, so ging die Reise rasch vonstatten. Bald erreichte man den höchsten Gipfel, und nun rollte der Wagen mit Blitzesschnelle abwärts. Nach einigen Minuten hielt der Postillon an. »Was gibt's?« fragte Ludwig.
    »Hm, Signore,« lautete die Antwort, »die Jahreszeit ist nicht die beste. Man muß vorsichtig sein. Wir haben warme Tage gehabt, und da stürzen die Lawinen herunter wie der Sperber auf die Lerche. Ich muß einen Schuß tun.« Er holte eine alte, rostige Muskete hervor und schoß in die Luft. Der Schall dröhnte weit durch die öden Berge und donnerte ein tausendfaches Echo nach; doch alsdann blieb alles still.
    »Es wird gehen«, sprach der Postillon. und trieb seine Pferde an. Man war in ängstlicher Spannung, denn jeder malte sich im stillen die schauerlichen Schrecken eines Begräbnisses unter stürzenden Lawinen aus. In wenigen Augenblicken gingen alle die Erzählungen an der Erinnerung vorüber, welche die jugendliche Phantasie schon in den frühesten Jahren durch Berichte von diesen furchtbaren Naturereignissen in der Schweiz süßschauerlich aufgeregt hatten. Plötzlich donnerte und krachte es dumpf in der Höhe, »Dio santo!« rief der Postillon und sah empor. Zugleich aber setzte er dem Pferde, auf dem er ritt, die Sporen ein, schwang die Peitsche, und in betäubender Schnelligkeit rasselte der Wagen dahin. Bianka ergriff ängstlich die Hand der Pflegerin ihr gegenüber. Ludwig suchte Ruhe zu gewinnen und sprach: »Es wird keine Gefahr haben; diese Leute wissen sehr genau Bescheid und sind ungemein vorsichtig.«
    Doch kaum hatte er diese Worte gesprochen, als ein furchtbares Krachen dicht über ihren Häuptern erscholl; es war, als stürze der Berg mit ihnen zusammen. Die Pferde bäumten sich und prallten scheu auf die Seite, so daß der Wagen hart an den Rand des Abgrundes geschleudert wurde. Doch der mutige Reiter verlor die Fassung nicht, sondern trieb sie mit Sporen und Peitsche vorwärts. Die Gefahr hinabzustürzen dauerte nur eine Sekunde; doch der größern war man noch nicht entronnen, denn jetzt krachte es fürchterlich rings um die Reisenden her, und sie sahen sich plötzlich in eine weiße Wolke gehüllt. Der Boden bebte, ein gewaltiger Druck der Luft schleuderte Ludwig von dem Sitz herab, Bianka hing in bewußtloser Angst am Halse ihrer Pflegerin. Die weiße Wolke verdunkelte sich schnell wie zu dichten schwarzen Rauchwirbeln; einen Augenblick danach hielt der Wagen mit einem heftigen Stoß an, als ob ein Schiff auf ein Felsenriff geriete. Die Achsen knarrten, beide Frauen schrien laut auf, selbst Ludwig vermochte einen Ausruf des Schreckens nicht zu unterdrücken. Undurchdringliche Finsternis verhüllte jetzt alles ringsumher. Noch einige Augenblicke vernahm man das Getöse des rollenden Donners, dann verlor es sich dumpf, und plötzlich war alles still und finster wie die Gruft.

Drittes Kapitel.
    »Das war Rettung aus dem Rachen des Löwen!« rief jetzt der Postillon. »Wir haben noch glücklich die Galerie erreicht.« Diese Worte erfüllten die von Entsetzen Erstarrten mit neuem Leben. »Wir sind nicht verschüttet?« rief Ludwig freudig. – »Die Lawine muß dicht hinter uns heruntergeschossen sein,« antwortete der Postillon, »denn die Eissplitter und der Schneestaub haben uns ja fast blind gemacht. Aber eine Achse oder gar alle zwei wird es gekostet haben, denn ich spüre wohl, daß wir etwas hart an die Felswand

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