1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
– »Beil und Stricke liegen im Kasten unterm Bock«, erwiderte Paul, öffnete denselben und nahm das Beil heraus. »So komm, mein Freund, « sprach Ludwig fest zu dem Postillon; »der Bediente mag bei den Damen bleiben.« – »Nun so möge Sankt Borromäus uns beistehen«, rief der Postillon halb seufzend, halb verdrießlich.
Paul trat vor: »Wenn jemand gehen soll, Herr Graf, so bin ich es. Sie selbst bleiben dann zum Schutz der Damen zurück.« Bianka war unschlüssig, ob sie Ludwig bitten sollte, das Wagestück zu unterlassen. Doppelte, gleich mächtige, aber einander widerstreitende Pflichten und Gefühle kämpften in ihrer Seele. Seine Entschiedenheit ließ ihr keine Wahl. »Ich gehe selbst,« rief er mit freudigem Tone, »es bleibt, wie ich gesagt habe.« Mit diesen Worten ergriff er die Laterne und schritt vorwärts. Der Postillon folgte ihm. »Gott möge dich beschützen, mein Bruder«, rief ihm Bianka nach. Der Postillon nahm ihm jetzt, als des Weges kundiger, die Laterne aus der Hand. Kaum waren sie fünfzig Schritte gegangen, als er rief: »Santo Borromeo! Ich glaube, die Galerie ist gesperrt! Seht nur, Signore, der Ausgang ist ja ganz mit Schnee verrammelt. Die Lawine muß sich geteilt haben und von beiden Seiten der Galerie herabgestürzt sein. So sitzen wir wie die Maus in der Falle. Denn daß die Tür hinter uns zuschlug, haben wir, Gott sei's geklagt, nur zu deutlich gemerkt!«
Es war, wie der Postillon es sagte. Wenige Schritte vorwärts reichten hin, um Ludwig zu überzeugen, daß der Ausgang völlig verschüttet war. »Was fangen wir jetzt an?« fragte er, erschrocken, sich in der Höhle als Gefangener zu wissen. – »Was wir anfangen? Wir gehen zurück zu den Damen, denn hier können wir nicht heraus, bis wir herausgeholt werden«, erwiderte der Postillon. »Aber wird man uns befreien?« – »Pah! davor ist mir nicht bange. Sie müßten taub sein in Sempione und im nächsten Posthaus, wenn sie diese Lawine nicht gehört hätten. Und wenn ich morgen früh nicht mit meinen Pferden zurück bin, so suchen sie schon nach, wo ich stecke.«
Etwas beruhigt durch diese Antwort trat Ludwig den Rückweg zu den Damen an und berichtete ihnen, in welcher Lage man sich befinde. Bianka hörte ihn mit banger Seele an, doch mit ergebenem Gemüt richtete sie das Auge empor und sprach: »Wir müssen dulden, was Gott uns sendet; er selbst will jetzt unser Geschick entscheiden. Es sei denn – ich bin auf alles gefaßt!«
Der Postillon, der nichts Außerordentliches in dem Falle sah, wollte sie beruhigen. »Es hat keine Not, Signora, man wird uns schon herausholen, morgen mittag sind Sie frisch und gesund in Brieg, darauf verlassen Sie sich. Indessen wollen wir doch suchen, ein Zeichen zu geben. So viel Luft werden wir uns wohl durch den Schnee machen können, daß der Knall einer Muskete ins Freie fahren kann. Wenn sie uns im Posthause hören, das keine halbe Stunde mehr von hier entfernt ist, so läuten sie die Notglocken, und mit Tagesanbruch werden Leute genug hier sein, um uns herauszugraben. Denn höher als fünfzehn bis zwanzig Fuß bleibt der Schnee auf der schmalen Straße nicht liegen.«
Nach diesen Worten machte der muntere, gewandte Italiener sich gleich daran, um die Deichsel auszuheben, mit der er sich ein Luftloch durch den Schnee bohren wollte. Indem er aber damit beschäftigt war, hörte man einen fernen dumpfen Knall. Bianka fuhr zusammen. »Was bedeutet das?« fragte sie.
»Ihr werdet's gleich hören«, rief der Postillon und nahm die Stellung eines Aufhorchenden an. »Da habt ihr's! Sagt' ich's nicht? Es ist eine zweite Lawine.« Der Knall ließ sich verstärkt zwei-, dreimal rasch hintereinander hören, dann folgte ein lang anhaltendes schollerndes Getöse, wie wenn eine große Last von Steinen in den Abgrund rollte. Es kam immer näher; jetzt rasselte es dicht über den Häuptern der Lauschenden, als sollte die Decke der Galerie eingeschmettert werden. Bianka schmiegte sich ängstlich an Margareten an; auch die Männer verrieten Schrecken durch ihre erblassenden Wangen. Der Postillon aber lachte und rief: »Hier regnet's nicht durch!« – Das Getöse nahm nach und nach ab und verlor sich dann in ein dumpfes Sausen in der Tiefe, als ob ein ferner Strom wild über Felsentrümmer dahinbrause.
»Hab' ich nicht recht gehabt?« fragte der Postillon. »Wenn uns nicht zum Glück der Ausweg versperrt gewesen wäre, so möchten wir jetzt schwerlich den Eingang wiederfinden.« Bianka dankte Gott
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