1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
den sie schwer bezwang. Der alte Diener war jedoch nicht sonderlich aufmerksam auf sie und meinte kurz abbrechend: »Jetzt müssen wir vor allen Dingen sehen, was der Wagen für Schaden genommen hat.« Dabei ergriff er die Laterne und leuchtete damit gegen die Achsen. Bianka sprach matt: »Ich kann mich noch gar nicht fassen, – ich weiß ja auch noch nicht, was uns begegnet ist, und wo wir jetzt sind.« Dabei neigte sie sich zärtlicher gegen die Brust ihrer Begleiterin, die jedoch ungleich kälter und gemessener gegen sie war, als ob sie sehr auf ihrer Hut sei, die Schranken des Standesverhältnisses vorwitzig zu überschreiten.
Ludwig erklärte in wenigen Worten, was vorgegangen war und wo man sich befinde. »Der Wagen ist nicht viel besser als in tausend Stücke zerschellt«, berichtete jetzt der Postillon, der gemeinschaftlich mit Paul, dem Diener, die Räder und Achsen untersuchte. »Die Herrschaft wird wohl ein wenig aussteigen müssen.«
Ludwig half den Frauen aus dem Wagen. »Wird uns der Unfall lange aufhalten?« fragte Bianka besorgt, indem sie zu den beiden Männern trat, die eben die Hinterachsen und Räder besahen.
»Je nun, Signora,« antwortete der Postillon, indem er die rote Mütze ehrerbietig abzog, »bis zum nächsten Posthause, vielleicht auch bis Brieg schleppen wir uns allenfalls hinunter; aber dort wird der Stellmacher wohl einen oder anderthalb Tage zu tun haben. Die rechte Vorderachse ist mitten voneinander geborsten und das Rad hält mit Not und Mühe noch die Speichen in der Nabe. Die Deichsel hat der Henker auch geholt; daß der Kasten schmählich zerfahren ist, will ich nicht einmal rechnen. Hinten geht's noch so leidlich, aber das rechte Rad hat auch gelitten.«
Bianka warf während dieses Berichts unruhige Blicke auf ihre Begleiterin und auf Paul. Der letztere fing endlich an: »Es wird sich noch machen lassen, gnädigste Gräfin; ich denke, wenn man Schmied und Rademacher gut bezahlt, so kommen wir mit einigen Stunden Aufenthalt davon. Freilich aber wäre jetzt keine Zeit zu verlieren.«
»Ja, mein Freund,« fing der Postillon an, »so können wir nicht vorwärts; ein paar junge Bäume müssen wir erst abschlagen: einen, um ihn unter die Achse, den andern, um ihn gegen die Deichsel zu binden. Es ist nur verwünscht, daß wir hier schwerlich passendes Holz finden, denn wenn ich mich jemals gut hier oben umgesehen habe, so wächst auf dieser Höhe noch kein Stamm, wie wir ihn brauchen; es ist nichts als krummes, verkrüppeltes Knieholz. Eine halbe Stunde weiter unten möchte es eher angehen.«
»So laß uns dahin,« erwiderte Paul; »denn vorwärts müssen wir, die Herrschaft hat große Eile.« Der Postillon stand unschlüssig. Ludwig glaubte, er wolle nach Art der Italiener erst sehen, wie hoch man ihm den außerordentlichen Dienst bezahlen werde, und versprach ihm daher eine ansehnliche Belohnung, wenn er den Wagen bald wieder instand setze. Doch der kleine Schwarzkopf mit dem Zigeunergesicht zog eine bedenkliche Miene und sprach: »Das ist freilich leicht gesagt, Monsignore, aber nicht leicht ausgeführt. Wenn um die jetzige Zeit erst die Lawinen zu stürzen anfangen, so ist man keine Viertelstunde sicher. Eine nach der andern setzt sich in Bewegung. Ja, wenn wir harten Frost hätten! Aber ich spüre Tauwetter, und da mag der Teufel trauen. Es könnte leicht sein, daß ihr hier lange vergeblich auf unsere Rückkehr wartetet. Bei Tage kann man sich eher vorsehen, auch hört gegen Morgen die Gefahr auf, denn was die Sonne am Tage locker geschmolzen hat, ist bis dahin heruntergestürzt, und sie muß dann erst neue Massen lostauen. Aber jetzt, bei Nacht, da ist das Ding nicht zu wagen!«
Ludwig ahnte, wie peinlich die Verzögerung der Reise für Bianka sein müsse, obwohl sie der dringendsten Gefahr bereits entronnen war. Er sprach daher entschlossen: »Ich begleite euch, wir wollen die Gefahr teilen.«
»Das wäre ganz gut, Monsignore,« antwortete der Postillon, ohne seine bedenkliche Miene zu ändern, »wenn wir's mit ein paar Galgenvögeln zu tun hätten, die am Wege hinterm Busch lauern. Aber die Lawine fragt nicht danach, ob wir zwei, oder drei, oder zwanzig sind. Sie macht reinen Tisch mit allen, die ihr in den Weg kommen!«
»So laßt's uns doch wenigstens versuchen, Freund«, sprach Ludwig, indem er die Laterne ergriff. »Ich will voran.« Bianka sah ihn mit einem dankbaren Blicke an, der ihn noch mehr in seinem Entschluß bestärkte. »Habt ihr ein Beil? « fragte er.
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