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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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geschlossen, und ohnmächtig wüteten und jammerten sie vor den unerbittlichen Mauern um Einlaß.
    Schon mehrere Stunden hatten viele dieser Unglücklichen, von Frost erstarrt, von Hunger gefoltert, im Angesicht der Rettung vergeblich um Hilfe und Erbarmen gerufen. Die meisten waren in Verzweiflung und Erschöpfung niedergesunken und durch die immer grimmiger werdende Kälte schon getötet. Die geordneten heranrückenden Truppen vernahmen das gräßliche, wilde Geheul um Speise, welches sich mit herzzerschneidenden Lauten des Jammers mischte. Jetzt überkam auch sie die Angst, daß es ihnen ebenso ergehen möge, daß man hier Gewalt brauchen müsse und nur derjenige Labung finden werde, der zuerst raubend einbreche. Darum stürzten sie aus den Reihen hervor und suchten, soviel die erschöpften Kräfte ihnen gestatteten, einander vorauszueilen, um den Ort des Heils zu erstürmen, und was er darbieten konnte, mit gewaltsamer Hand zu erbeuten.
    Der Marschall Bessières warf sich vergeblich denen, die den Gehorsam aufkündigten, entgegen, umsonst suchten die Offiziere sie mit Gewalt zurückzuhalten. Das Getümmel drohte schon sich fort durch die ganze lange Kolonne zu verpflanzen, als plötzlich der Kaiser in den vordersten Reihen erschien und mit einem Wink halt gebot. Die Ehrfurcht vor der geheiligten Person des Feldherrn, an dem in dieser Zeit der Drangsale das letzte Vertrauen hing, fesselte selbst die Verwegensten. »Soldaten, kehrt in euere Reihen zurück«, sprach er streng, aber ruhig, und fand augenblicklichen Gehorsam. Er selbst ritt jetzt an die Spitze der Truppen, und in düsterer Stille, aber streng geordnet rückten die Krieger in die Festung ein.
    Rasinski mit den Seinigen folgte unmittelbar der Alten Garde. Nur die Hälfte war beritten, die übrigen gingen zu Fuß, da ihre Pferde vor die Kanonen gespannt waren. Bernhard und Ludwig waren zu Pferd. Als sie auf der Höhe des Talrandes waren, deutete Ludwig mit der Hand zur Linken über das Schneefeld und sprach zu Bernhard: »Erkennst du wohl das Schloß dort drüben?« – »Hm!« entgegnete Bernhard, »ich hätte geglaubt, es müsse völlig heruntergebrannt sein; aber es steht doch noch so ziemlich auf den Beinen.« – »Ich weiß nicht, weshalb ich auch noch jetzt dieses ehrwürdige Gebäude mit seinen seltsamen Türmen und Zinnen mit einem ganz besondern Gefühl betrachte«, antwortete Ludwig.
    »Ich jetzt mehr als damals; aber das macht die Erinnerung. Weißt du, ich glaube, wir sind unkenntlicher geworden als das Schloß dort, obwohl die Flamme ihm wahrscheinlich alle Eingeweide ausgebrannt hat. Denn wenn ich dich so betrachte, mit dem langen Bart und den schwarzen Rauchfurchen im Gesicht, so kann ich mir wohl denken, wie ich selbst aussehe. Es wäre der Mühe wert, unser Porträt zu malen, damit wir doch dereinst in Deutschland oder Frankreich den Leuten zeigen könnten, welche Gesichter die siegreiche Armee geschnitten hat, als sie zum zweitenmal nach Smolensk kam.« – »Seid getrost, Freunde,« sprach Rasinski zurückgewandt, »eine Zeit der Ruhe liegt vor uns. Sie wird uns auch Gelegenheit bieten, uns wieder ein menschliches Ansehen zu geben.«
    Sie ritten jetzt durch das Tor der obern Stadt ein; denn die östliche Hälfte liegt auf der Anhöhe, die westliche jenseit des Dnjepr in der Tiefe. Als sie die nächste Gasse hinabkamen, blickten sie einander betroffen an. »Nun wahrlich!« sprach Bernhard leise zu Ludwig, »Smolensk sieht nicht aus, als sollte es unser Kapua werden.« – »Wenn die ganze Stadt so zerstört und wüst ist,« antwortete Ludwig ebenso leise, »so wird sie uns nicht mehr Lebensmittel darbieten als die große Straße, die wir gekommen sind.« – »Ich sehe noch nicht, wie wir ein Lot Reis hier kochen wollen,« flüsterte Bernhard; »bemerkst du wohl, daß alle Fensterkreuze ausgebrochen sind? Wo hier noch Holz in der Mauer saß, scheint man schon Ernte gehalten zu haben.«
    »Und doch, glaube ich, täten wir wohl, einige dieser einsturzdrohenden Gebäude inzeiten zu besetzen,« erwiderte Ludwig ebenso leise; »denn wenn jene Massen Unglücklicher von draußen erst hereindringen, so bleibt kein Stein auf dem andern.« – »Das denke ich auch,« entgegnete Rasinski, der mit seinem leisen, stets aufmerksamen Ohr alles vernommen hatte, »und ich sinne auch schon darauf, schnell das Recht des Erstbesitzes geltend zu machen. Nur hoffe ich, die Unterstadt wird besser erhalten sein; denn hier stürzt uns vielleicht in der Nacht

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