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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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geschlossen, mit den gezogenen Pistolen in der Hand, mußte Boleslaw sie durch die tobende, fluchende, heulende und jammernde Menge führen und sich gegen dieselbe wie gegen eine Räuberbande verteidigen. Nur mühsam gelang es ihm, endlich bis in das Quartier des Regiments zu dringen. Jaromir war glücklicher gewesen als er, denn bei dem Empfange der Furage hatte nicht ein solches Gedränge stattgefunden.
    Als Boleslaw Rasinski seinen Bericht abstattete, schüttelte dieser das Haupt und sprach: »Das sind bedenkliche Zeichen! Wir werden hier nicht lange bleiben können, denn unser Bestreben muß es sein, so rasch wie möglich die Grenzen Rußlands zu erreichen. Bei einer so gänzlichen Auflösung alles Gehorsams würde ein entschiedener Angriff uns vernichten. Ich sandte Bernhard und Ludwig zum Empfang von Munition; dort hatten sich nur von wenigen Regimentern Leute eingefunden. Wenn der Soldat schon nicht mehr daran denkt, sich verteidigen zu wollen, was soll daraus werden? Ja selbst zum Empfang der Löhnung hatte sich nicht ein Dritteil eingestellt, obgleich alle Regimenter benachrichtigt waren!«
    »Laß nur diesen einen Tag der gänzlichen Erschöpfung und Verzweiflung vorüber sein,« antwortete Boleslaw, »so wird sich Ordnung und Gehorsam schon wiederfinden. Noch haben die Schrecken des Marsches, des Hungers, der Kälte die Leute ganz betäubt. Mußten wir selbst doch alle Kräfte zusammenraffen, um nicht den Mut völlig sinken zu lassen; und wie viel besser ist es uns noch ergangen als den übrigen! Durch deine Fürsorge sind die meisten unserer Leute warm gekleidet; sie haben wenigstens gute Stiefel und Mäntel. Auch ist immer noch etwas Speise für sie dagewesen. Aber betrachte die andern! Zerlumpt, mit zerrissenen Schuhen mußten sie die furchtbaren Nächte im Freien zubringen, die Tage hindurch sich durch den Schnee arbeiten. Wenn die Qualen so hoch steigen, daß in den Strafen des Ungehorsams kein Schrecken mehr liegt, dann läßt sich die Ordnung nicht mehr erhalten.«
    »Aber das Verderben liegt darin,« sprach Rasinski stark betonend; »das Verderben des Ganzen und der einzelnen! Das sehen die Rasenden nicht ein. Gefahr und Not würden sich für alle um die Hälfte vermindern, wenn sich keiner eigennützig derselben zu entziehen suchte. Von Zwanzigen, von Hunderten gelingt es einem; die andern gehen desto schneller und sicherer zugrunde.«
    »Laß ihnen nur zwei Tage Zeit, sich zu erholen, so werden sie der vernünftigen Vorstellung zugänglich sein und zum Gehorsam zurückkehren.«
    »Aber ist es denn noch Zeit? Haben sie nicht schon ihre Waffen weggeworfen? Fallen sie nicht schon den übrigen nur als Ballast beschwerlich, ohne noch etwas zur Rettung beizutragen? Der Kaiser muß außer sich sein über einen solchen Anblick.«
    Jaromir, Bernhard und Ludwig traten ein. Sie kamen von den Ställen herauf, wo alle Pferde wohl besorgt waren. »Es ist die erste ordentliche Fütterung, die unsere Pferde erhalten, seit wir Moskau verließen«, sprach Jaromir. »Das heißt, unter einer ordentlichen Fütterung verstehe ich halb Spreu, halb Hafer und kaum eine Drittelsration. Doch sieht man, wie es den Tieren behagt und bekommt!«
    »Um des Himmels willen gebt ihnen nicht volles Maß. Kaum morgen oder übermorgen würden sie es vertragen«, erinnerte Rasinski. – »Sei unbesorgt,« sprach Jaromir, »ich habe selbst überall das Auge gehabt.« – »Wohl«, antwortete Rasinski. »Doch nun laßt uns auch an uns denken. Es ist die erste Mahlzeit seit langer Zeit, die wir unter Obdach, sitzend und in trauter Gemeinschaft zu uns nehmen werden.«
    Alle noch übrigen Offiziere hatte Rasinski zu sich in das leidlich bewohnbare Zimmer geladen. Es war das erstemal, daß er einen kleinen Vorzug vor den Seinigen hatte, den sie ihm mit Gewalt aufdrangen. Er glaubte ihn diesmal annehmen zu dürfen, weil es den Leuten gleichfalls nach Verhältnis und Umständen wohl erging. Deshalb verstattete er sich auch mit den Freunden den Genuß einer Flasche Weins; der Kaiser hatte aus seinem eigenen Vorrate jedem der Regimentskommandeure zwei Flaschen zustellen lassen. »Die andere,« sprach Rasinski, »laßt uns auf dringendere Zeiten bewahren.« Nach der Mahlzeit schloß die Übermüdung allen bald das Auge, und sie genossen der köstlichen Labung des Schlafes, ohne durch den Schmerz der vor Kälte erstarrenden, oder durch die zu große Nähe der Flamme fast verbrennenden Glieder jeden Augenblick aus der dumpfen Betäubung geweckt zu

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