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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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her glänzen, nicht Kolumbus' verzagende Mannschaft begrüßte die Küste des neuen Weltteils mit solchem Freudendank gegen den Allmächtigen, als die vom Grimm des Winters, des Hungers und der Todesermattung verfolgten Krieger die Mauerzinnen der Stadt erblickten, wo ihnen das Ende der Mühsal verheißen war. Ein Schimmer der Freude überflog die bleichen, hagern Gestalten, ein letzter Anflug des Mutes und der Kraft kehrte in die entkräfteten Körper zurück.
    Schon war man auf eine Stunde Weges den Mauern dieser Feste nahegekommen, als man von beiden Seiten der Straße, anfangs einzeln, dann in größern Trupps, die verhungerten gespenstischen Gestalten derjenigen gewahrte, die ihre Waffen verloren oder weggeworfen hatten und, weil schon die Bande der Ordnung und des Gehorsams überall zerrissen waren, die Hoffnung hegten, sie würden einzeln, willkürliche Wege wählend, sicherer durch die Wüsteneien des Schnees und der Wälder dringen, als wenn sie bei der Masse blieben, für die niemals das ausreichte, was man auf einem Fleck versammeln konnte. So waren denn Tausende wie Räuberhorden dem Heere bald vor-, bald nachgezogen, bald hatten sie es zur Seite umschwärmt. Die Wut des Hungers in dem gierigen, von Entzündung glühenden Auge, schwarz von Rauch und Erde, in Lumpen gehüllt, warfen sich die Scharen gleich den Harpyien über alles her, was sie berührten. Keine vernünftige Stimme zügelte ihre bis zum Wahnsinn gesteigerte Begierde. Fanden sie irgendwo eine Speise, so fielen sie mit der Wut des Raubtiers darüber her und verschlangen sie mit so rasender Hast, daß die meisten, wie an genossenem Gift, gleich darauf unter wilden Qualen zuckend zu Boden stürzten und den Geist aufgaben. Doch kein Beispiel schreckte die später Herandringenden ab; wie von blindem Wahnsinn getrieben, stürzten sie sich in dasselbe Verderben, das ihre Kameraden vor ihren Blicken getötet hatte. Ja, selbst das Geheul und das Ächzen der noch zuckenden Sterbenden schreckte sie sowenig zurück, als es ihnen auch nur noch einen Blick des Mitleids abgewann. Das Elend hatte die menschliche Natur in diesen Unglückseligen zur entsetzlichsten Entartung geführt; jeder kannte nur sich selbst, nur den nächsten Augenblick; denn die Qualen der Gegenwart waren zu fürchterlich, und alles, was diese stillte, erschien als ein nicht zu fassendes Glück, wenngleich in der nächsten Minute das doppelte Elend dafür hereinbrach. Diese grauenhaften Gestalten erschienen plötzlich, zu dunkeln Schwärmen zusammengerottet, wie sie aus den nächsten Wäldern, durch die sie ihren Weg genommen hatten, zufällig früher oder später auf die Straße gerieten. Eine Viertelstunde vor der Stadt häuften sich die Andrängenden so, daß die noch geordneten Korps der Alten und der Jungen Garde sich nur mit Mühe die Straße zum Marsch freihielten. Jetzt zogen sich die Talränder, die die Ufer des Dnjepr bilden, näher zusammen und beschränkten die Straße. Von beiden Seiten zeigten sich diese entsetzlichen Rotten auf den Höhen. Sie versuchten auf den beschneiten, beeisten Abhängen hinunterzuklimmen, um die Straße zu erreichen, doch die schwache Kraft der Füße leistete ihnen den Dienst, wozu rüstige Gewandtheit gefordert wurde, nicht mehr. Sie stürzten übereinander hin, die Abhänge hinab, und röteten den Schnee mit dem Blut ihrer von den rauhen Eissplittern zerrissenen Hände und Wangen. Unter jammerndem Geheul rollten sie in die Tiefe, vermochten aber nicht mehr, sich von dem Sturz aufzurichten, sondern blieben betäubt am Wege liegen. Jetzt sah man die Tore der Stadt. Selbst unter dem in dem eisernen Gesetz des strengsten Gehorsams fest eingewachsenen Korps der Alten Garde ließ sich jetzt die Ordnung nicht mehr erhalten, sondern gleich hungerigen Tigern auf die Beute, wollten die einzelnen aus den Reihen hervorstürzen, um zuerst den Zufluchtsort zu erreichen; denn schon hatte ein Teil jener Horde Verhungernder, die ohne Führer und Ordnung durch die Wälder gedrungen waren, die Stadtmauern erreicht und drängte sich in schwarzem Gewimmel um dieselben her. Doch bei dem Anblick dieser hohläugigen Gestalten, in den seltsamsten Trachten, wie Not und Zufall sie erfinden, bei ihrem krampfhaft gierigen Andrängen, hatte man in der Stadt gefürchtet, und mit Recht, sie würden wie eine Schar hungeriger Wölfe über die Vorratsmagazine herfallen und überall plündernd und zerstörend einbrechen. Deshalb wurden ihnen die Tore des verheißenen Asyls

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