1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Tale, wo wir eben weilten! O damals! Wie schön war es damals, als ich dein Angesicht zum erstenmal erblickte; du lächeltest mir entgegen wie der Frühling Italiens, in den wir hinabstiegen. Siehst du, dort öffnet sich das schwarze Tor! Sieh nur, wie die hellen Strahlen des Tages hereindringen! Er ging Arm in Arm mit der Geliebten dem Ausgange der Felsenhöhle zu. Das Tal lag wie damals vor ihm ausgebreitet; der Lenz öffnete die ersten Knospen und lächelte aus dem blauen Himmel über die Berge hin. Sieh nur, wie die Kleine uns dort entgegenhüpft. Sie erkennt die schöne Signora wieder, die so freundlich mit ihr tat. Aber laß uns dort hinunter nach den blauen Seen, den Rebengeländen und blühenden Gärten. Jetzt wallen wir zwischen den Felsen dahin, die Sonne wird untergehen, wenn wir am Abhang stehen und in das selige Land hinunterblicken. Siehst du? Siehst du – jetzt dringt uns ihre rote Glut gerade ins Auge. Dort hinter der Alpenspitze geht sie nieder. Wie der goldene Rauch das Tal durchzieht und die fernen Gefilde, vom Purpurduft umschimmert, mit dem Himmel zusammenrinnen! O,hier ist es schön!
Immer reizendere Bilder webte der Traum. Arm in Arm mit der Geliebten wandelte Ludwig in seliger Einsamkeit durch die Fluren. Ein schattiger Hain bot ihnen einen Ruhesitz. Unter den leichten Wölbungen der Zweige hindurch schweifte das Auge über Täler und Fernen, die im Abendgolde schimmerten, dahin. Bianka schmiegte sich liebend an seine Brust; er berührte die Lippen der Holdseligen, seine Seele erglühte in der trunkenen Flamme, die ihn durchrann. O, gütiger Himmel, betete sein Herz dankend empor, ich sinke selig sterbend hin in dieser Wonne!
Da murmelt dumpfer, ferner Donner, wie wenn die Lawinen in den Abgrund rollen. Er fährt auf aus der Umarmung der Geliebten; sie steht bleich und bebend vor ihm. Siehst du, ruft sie, die Sonne entzündet die Erde und alles flammt auf in loderndem Brand. Ludwig starrt hin. Ein Flammenmeer wogt rings um ihn her. Entsetzt will er fliehen. Sein Fuß ist an den Boden gebannt. Die Geliebte flüchtet durch die Nacht, nur ihre weißen Gewänder sieht er noch fern schimmern. Er streckt die Arme nach ihr aus, er will sie rufen, die Stimme versagt ihm; die Flammen brennen ihm mit stechendem Schmerz ins Auge. Da schlägt plötzlich ein donnerndes Getöse an sein Ohr und sprengt gewaltsam die Bande des Schlummers, die ihn noch in fesselnder Betäubung halten. Er springt empor und starrt um sich her. Selbst wachend steht er noch betäubt und kann den ungeheuern Wechsel zwischen Wirklichkeit und Traum nicht fassen. Endlich vernimmt er die dröhnenden Trommeln und Trompeten, die zum Aufbruch rufen. Der Wind treibt ihm die hochauflodernde Flamme des Lagerfeuers ins Gesicht, die schon in seine Träume furchtbar hineinleuchtete, bis das Kriegsgetöse den Vorhang, der sein Bewußtsein umhüllte, plötzlich zerriß. Jetzt erst fühlte er, wie die rauhe Hand der Wirklichkeit ihn unerbittlich packt und aufschüttelt aus dem holdseligen Wahn! Verschwunden das Bild der Geliebten, versunken die Zaubergärten des Traums, verfinstert das reizende Eden umher! Rings nur die Unermeßlichkeit der erstarrten Wüste und der Nacht. Aus seligen Gefilden ist er hinabgestürzt in die Finsternis der Verdammten. Welch eine grausame Verhöhnung! Es ist zuviel! Zermalmend sinkt der Schmerz auf seine Brust, sie muß zerspringen in dieser Qual.
Da faßt Bernhard seine Hand und blickt ihm staunend ins Auge. »Was ist dir, Ludwig?« fragt er mit sanft eindringender Stimme.
»O, mein Bernhard! In deine Arme laß mich flüchten vor der kalten Schlange des Entsetzens, die mir mit eisigen Ringen die Brust umschnüren will.« Er hielt ihn in heißer, unauflöslicher Umarmung; an dem Herzen des Freundes löste sich das starre Grausen seiner Brust, und in milden Wellen floß der tiefe, unerschöpfliche Strom der Schmerzen dahin!
Achtes Kapitel.
Endlich lag Smolensk, das vielverheißene, ersehnte Ziel der Mühen, vor den Blicken der Krieger und stieg mit seinen schwarzen Mauerzinnen und Türmen finster über dem Schneegefilde empor. Dort sollt ihr Obdach finden gegen die Winterstürme; dort wird der gierige Hunger, der in euern Eingeweiden nagt, gestillt werden; dort sollen die erstarrten Glieder Wärme, die überspannten, schmerzenden Muskeln Ruhe, die todesmatte, erschöpfte Kraft des Geistes Stärkung finden. Nicht die zehntausend wandernden Griechen sahen so freudig den Spiegel des heimischen Meeres vom Gebirge
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