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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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nicht geänderten Züge flößten ihm jetzt einen Widerwillen ein, der an Furcht streifte. Er glaubte seinen bösen Dämon in ihm zu sehen, und wandte daher rasch seine Schritte, um ihm nicht zu begegnen.
    Bald nach Regnard kamen Bernhard und Ludwig herunter auf die Straße; sie waren einander selbst jetzt wieder kenntlich geworden, da sie seit dem Rückmarsch von Malo-Jaroslawez zum ersten Male die Möglichkeit gehabt hatten, sich umzukleiden und ordentlich zu reinigen. »Wahrhaftig,« rief Bernhard im Heraustreten, »jetzt nehmen wir uns ganz stattlich aus. Seit dir der Bart nicht mehr wie ein halbzölliges Stoppelfeld um das Kinn starrt, siehst du ordentlich schön aus. Aber hier ist freilich niemand, der sich verlieben könnte.« – »Schon wieder leichtsinnige Gedanken!« sprach Ludwig lächelnd. »Doch in der Tat ist es sogar in großer Bedrängnis etwas wert, sich nicht selbst zum Widerwillen zu sein. Erst jetzt fühle ich mich wohl.« – »Im ganzen sieht man,« antwortete Bernhard, »daß die Prügel dem Menschen wie dem Hunde gut bekommen; denn wir befinden uns doch heute eigentlich ganz erträglich. Wenn man nicht unter der Peitsche verblutet, so ist's ein gesunder Aderlaß.« – »Wie glücklich du in so wenigen Stunden vergessen kannst!« seufzte Ludwig. »Ich sehe die Vergangenheit zu finster und die Zukunft zu drohend bewölkt, um mich der Gegenwart freuen zu können.« – »Bester, die Zukunft wird so schlimm nicht sein, denn wir sind jetzt auf die schlimmste gefaßt; wenn man weiß, was da kommt, empfängt man das Unheil ganz anders, als wenn man aus geträumtem Himmel plötzlich hineinfällt. Ein unvermuteter Stoß wirft mich hin; habe ich aber Zeit, mich fest auf die Beine zu stellen, so kann ich der dreifachen Gewalt Widerstand leisten. Jetzt laß uns aber sehen, ob wir Schuhe auftreiben können. Wir müssen die Lazarette durchstöbern und versuchen, ob sich eine Erbschaft machen läßt. Ich würde Rasinski gar gern diesen Dienst leisten.«
    Dieser hatte ihm nämlich den Auftrag gegeben, den Versuch zu machen, ob sich für die Leute, deren Schuhwerk durch den Marsch gänzlich zerrissen war, neues auftreiben ließe. Sie gingen; mehr dem Zufall als einem Plane folgend, nahmen sie ihren Weg in die Unterstadt, wo die Lazarette der Reservearmeen sich befanden. Vor einem großen, halbverfallenen, aber doch halb zur Bewohnung eingerichteten Gebäude sahen sie zwei Männer in dicken Pelzen und mit Pelzmützen bekleidet stehen. Sie teilten Befehle an verschiedene andere aus, deren Uniform sie als zu dem Verpflegungspersonale gehörig bezeichnete. »Gewiß ein paar Schufte, die uns hungern und frieren lassen,« rief Bernhard unwillig, »und in ihren Pelzen spöttisch zuschauen, wenn der arme Soldat im Schmerz der Kälte Tränen vergießt. Ein Muttersöhnchen! denken sie. Aber ich wollte euch nur ein Biwak machen lassen wie den bei Dogorobuye!« – »Vielleicht wäre aber doch gerade bei diesen Leuten etwas zu machen«, erwiderte Ludwig. »Laß uns näher gehen und zusehen, ob wir etwas erlangen können.« – »Meinethalben! Aber ich gestehe redlich, ich habe lieber mit einem Kosaken zu tun, der's doch gerade heraussagt, daß er mich plündern und im Notfall totschlagen will, als mit diesen giftigen Kreuzspinnen, die sich die fetten Bäuche von dem Marke der hinsterbenden Soldaten mästen. Was hilft's aber! Nur näher denn!«
    Sie traten zu den beiden Männern, welche mit dem Rücken gegen sie standen, heran; als diese die Schritte und den Gruß der Kommenden hörten, wandten sie sich um. Ein gegenseitiges Erstaunen war sowohl in Ludwigs und Bernhards als in den Zügen der Fremden zu lesen.
    »Sehen wir uns hier wieder?« fing nach einigen Augenblicken der jüngere der beiden Fremden an, indem er den Mund zu einem widrigen Lächeln verzog. Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als Ludwig mit einem Gefühl, als sei er in eine Gletscherspalte gestürzt, Beaucaire und in seinem ältern Begleiter St.-Luces erkannte. »Gendarmen!« rief Beaucaire, ehe Ludwig ein Wort hervorbringen, einen Entschluß fassen konnte, »verhaftet sofort diese beiden und werft sie in ein strenges Gefängnis! Es sind Verräter, die sich an Rußland verkauft haben!« Erst durch diese Worte erkannte Bernhard, wen er vor sich habe; denn er hatte Beaucaire in Dresden nur einige Augenblicke auf der Straße gesprochen, und so fest ihm die Physiognomie auch zum Teil aus frühern Erinnerungen eingeprägt war, hatte doch die Fremdartigkeit

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