1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
der Tracht sein sonst so sicheres Gedächtnis einen Augenblick ungewiß gelassen. Jetzt ergriff ihn eine unüberlegte aber unbezwingliche Wut. »Das lügst du, elender Bube!« rief er mit furchtbarer Stimme, sprang einen Schritt zurück und riß den Säbel heraus. »Wer mir zu nahe kommt, dem spalte ich den Schädel!« Ludwig, der gleichfalls erkannte, daß hier ein entschlossenes Handeln allein zu retten vermochte, stieß mit angestrengter Kraft den Gendarmen, der ihn beim Arme ergreifen wollte, zurück, daß er in den Schnee taumelte, und im Augenblick blitzte auch in seiner Hand der Säbel. In der Nähe waren Soldaten. »Kameraden, zu Hilfe, zu Hilfe!« rief Bernhard laut. »Diese Schurken, die uns verhungern lassen, wollen uns jetzt noch mißhandeln und morden! Herbei, zu Hilfe!«
Allein, wie es in der Leidenschaftlichkeit immer der Fall ist, rief er diese Worte nicht französisch, sondern in seiner Muttersprache. Teils wurden sie daher nicht verstanden, teils bezeichneten sie ihn sogleich als einen Fremden, auf die, seit das Heer von so furchtbarem Unheil betroffen wurde, sich der heimliche Haß der Franzosen schon längst gerichtet hatte. Sie glaubten, und nicht völlig mit Unrecht, sämtliche, aber zumal die deutschen Bundesgenossen freuten sich im stillen über das Unglück des Kaisers und der Armee. St.-Luces, gewandt, jeden Umstand zu benutzen, rief daher ebenfalls: »Ce sont des traîtres allemands, des espions soldés par la Russie!«
Diese Worte mußten besser wirken. Die in der jetzigen Stimmung leicht zu erbitternden Franzosen drangen auf die beiden Opfer, die ihnen so bezeichnet waren, ein, um sie niederzuschlagen. Bernhard wollte sich nicht ergeben, doch Ludwig hielt ihm selbst den Arm und rief: »Verteidige dich nicht! Wir könnten hier ein Unglück anrichten. Man muß uns Urteil und Recht gewähren. Rasinski wird uns nicht verlassen; auf ihn berufen wir uns.« Bernhard stampfte unwillig mit dem Fuße und knirschte mit den Zähnen. »Wir sind Ihre Gefangenen, mein Herr,« wandte sich Ludwig zu St.-Luces; »wir werden um Verhör und Urteil bitten, damit endlich diese grundlose Anklage ein Ende habe. Wir sind Soldaten des polnischen Heeres; Oberst Rasinski ist unser Befehlshaber. Er wird uns zu vertreten wissen; ich fordere, daß Sie ihm unsere Verhaftung sogleich melden!«
Die Gendarmen nahmen beiden die Säbel ab, und auf St.-Luces' Geheiß wurden sie sofort in das Gebäude hineingeführt. Der Unteroffizier wollte sie in die Wachtstube neben dem Tore bringen, wo die Magazinwache sich befand, doch Beaucaire rief: »Nein! Diese Verbrecher haben das Leben verwirkt. Sie müssen in ein sicheres Gefängnis gebracht werden. Sperrt sie in einen der Keller nach dem Graben hinaus ein!« – »Ludwig, Ludwig,« sprach Bernhard im Gehen, »ich fürchte, du hast übel getan, nicht den Waffen und der Flucht zu vertrauen. Wer weiß, ob Rasinski von diesen Schurken unterrichtet wird, ehe es zu spät ist!«
Ludwig schien von der Wahrheit dieser Worte getroffen. Im ersten Eifer konnte sein edelmütiges Herz selbst einem solchen Feinde wie Beaucaire nicht diesen Grad der Bosheit zutrauen; er hatte daher gegen ihn gehandelt, wie er gegen einen Mann von Ehre hätte handeln müssen. Jetzt fiel ihm bei, daß vielleicht niemand mehr als eben Beaucaire das Tageslicht bei dieser Angelegenheit zu scheuen habe, er dachte an die Zumutungen, die der Elende seiner Schwester gemacht hatte, und es ward ihm klar, daß dieser Grad der Unwürdigkeit auch nur in der niedrigsten Rache Genugtuung finden könne. Da warf er einen Blick auf den Sergeanten der Gendarmerie, welcher sie nebst drei Mann begleitete. Dieser trug den Orden der Ehrenlegion, hatte zwei Narben auf der Stirn und ein Auge, das eine würdige Gesinnung versprach. »Ihr seid Soldat,« redete er ihn an; »ihr werdet einem Kameraden eine Bitte nicht abschlagen.« –
»Außer die, welche mir meine Pflicht verbietet«, antwortete der Sergeant ernst. – »Wir sind unschuldig. Wir fallen als Opfer boshafter Rache. Wenn unser Oberst, der Graf Rasinski, unsere Verhaftung nicht erfährt, sind wir ohne Rettung verloren. Gebt mir euer Wort, ihm dieselbe zu melden.« – »Wenn meine Befehle nicht dawiderlauten, sehr gern.« – »Er wird es euch reichlich lohnen! Nehmt meinen Dank im voraus«, rief Ludwig freudig und wollte dem Sergeanten seine ganze Börse in die Hand drücken. Doch dieser trat zurück und entgegnete: »Keine Bestechung! Ich werde meine Pflicht als Soldat
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