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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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daß sein Apfelbiß mir den Gewissensbiß zugezogen habe, den ich nämlich empfinden sollte! – Aber ich wünschte, wir hätten ein gutes Kaminfeuer hier und einen Diwan mit Pferdehaaren gepolstert; denn das Stehen wird mir schwer, obgleich ich die Nacht gut geschlafen habe. Siehst du, das ist noch ein wahres Glück, daß wir ausgeruht und halb gesättigt in diesen russischen Bürgergehorsam gekommen sind. Faßte der Spitzbube uns gestern ab, so wäre dies heute unser anständiges Grabgewölbe, so rasch würden Hunger und Kälte uns still gemacht haben.«
    »Du bist so gut! Von allem siehst du die helle Seite!« antwortete Ludwig gerührt. »Hast du denn aber nicht bedacht, daß wir unsern Feinden eben nur heute kenntlich sein konnten? Wer hätte uns gestern in den langen, struppigen Bärten, mit dem verworrenen Haar, der schwarzen, rußigen Haut erkannt? So wird, was vor einer Stunde ein Glück für uns schien, jetzt unser Verderben.«
    »Und wer sagt dir das? Wenn es sich in dieser Stunde so umkehren kann, warum nicht in der nächsten abermals? Mut, Mut, Ludwig! Der Rachen des Todes steht lange offen, ehe er einmal zuschnappt; er hat oft genug vergebens in diesem letzten Vierteljahr die Zähne gegen uns gefletscht; er soll uns heute nicht bange machen.«
    »Ich zittere nicht!« sprach Ludwig mit Würde, »denn ich darf meinen Richtern, wie ich sie ungern nenne, mit freier Stirn gegenübertreten. Aber ein tiefer Schmerz muß mich durchdringen, wenn ich sehe, wie ein unseliger Fluch auf mir lastet und die mit erdrückt, die sich am treuesten zu mir gesellen möchten! Dich und Marien! Und, wer weiß–« – »Orestes!« unterbrach ihn Bernhard. »So laß mich denn dein Pylades sein.« Er nahm ihn in den Arm und küßte ihn herzlich.

Zehntes Kapitel.
    Eine Stunde, eine zweite verging; sie harrten vergeblich darauf, daß man sie zum Verhör führen solle. Die Kälte in dem dumpfen Gewölbe schien mit jedem Augenblicke zuzunehmen. Rings waren die Wände mit feinen Eiskristallen bedeckt, und der Boden lag sogar hier und da voll Schnee, wie ihn der Wind in die Fensteröffnung getrieben hatte. Eben erhob er sich draußen aufs neue wieder und heulte schauerlich durch das Gewölbe. Die Müdigkeit zwang die Gefangenen, sich auf dem eiskalten Steinboden zu lagern; doch die Kälte trieb sie bald wieder auf. Nur in der Abwechslung zwischen Gehen und Liegen fanden sie die Möglichkeit, sich vor dem Erstarren zu schützen. Hände und Füße waren ihnen schon verklammt. Es fing an zu dunkeln; der Tag mußte sich neigen. Ludwig wurde von Minute zu Minute unruhiger; Bernhard pfiff sich Grimm und Sorgen weg. »Ich fürchte,« begann endlich Ludwig, »Rasinski weiß nicht, was aus uns geworden ist. Sonst müßten wir schon Nachricht von ihm haben.«
    »Die Zeit wird einem lang im Vogelbauer! Wir sind erst ein paar Stunden hier. Wer weiß, was für langweilige Prozeduren nötig sind, ehe er bis zu uns dringen kann. Wär' ich ein Vögelein!« Ludwig schwieg; der Schmerz preßte ihm die Brust zusammen.
    »Mir fällt etwas ein«, rief Bernhard plötzlich. »Als die von dem Direktorium zur Deportation in die Wüsten Guianas verdammten Terroristen nach Amerika übergeführt wurden – ich glaube auch Collot d'Herbois, der schlechte Schauspieler, der aber doch die Rolle des Tyrannen leidlich durchgeführt hat –, gab man ihnen, um sie an die schmalen Bissen in der verpesteten Wüste zu gewöhnen, nur schmale Schiffskost. Da fingen die Kerle an, sich aufs Brüllen zu legen, und schrien, bis ihnen die Kehlen vertrockneten: «Mich hungert!» Endlich wurde es der Kapitän überdrüssig und befahl: «Gebt den Hunden zu fressen, damit sie aufhören zu heulen.» So könnten wir's hier auch machen und an die Tür dort donnern, bis sich jemand um uns bekümmerte.« Dabei tat er einen wilden Fußstoß gegen die verschlossene Pforte, daß der Schall dumpf in dem Gewölbe widerhallte. Doch er sank halb taumelnd zurück, so daß Ludwig hinzuspringen mußte, um ihn am Fallen zu hindern. »Verflucht!« rief er, indem er die Zähne zusammenbiß. »Ich dachte nicht an den verteufelten Schmerz in den erstarrten Füßen. Das war eine Empfindung, als ob ich zwischen Hammer und Amboß geraten wäre. Es geschieht mir schon recht. Geduld, Geduld! empfiehlt die Lehre der Liebe, und ich wollte ingrimmig toben gegen mein Schicksal. Du mußt mich schon ein wenig stützen, Bester, denn der Schmerz ist mir bis in das Rückenmark gefahren!« Er lehnte sich mit dem

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