1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
ein. »Siehst du? Schon wieder schwebt es segensreich heran – o mich blendet der Glanz, ich muß mein Auge abwenden.« Und er wandte das Angesicht, um seine Tränen zu verbergen. – »Schwester!« sprach Bernhard behutsam und leise, als er sah, daß sie allein kam. »Schwester! Noch einmal muß ich dich mit dem süßen Namen begrüßen!« – »Bruder,« entgegnete sie und trat ihm mit dem Lächeln eines Engels auf den Lippen vertraut entgegen und lehnte sich an seine Brust, als er den Arm um sie schlang und ihr die Stirn küßte; – »Bruder, Schwester! Was lautet süßer? – Der eine Name schmeichelt meinem Ohr, wie der andere meiner Lippe! Bruder, Schwester!«
»Und Freund!« setzte Bernhard aus tiefster Seele hinzu, indem er den abgewendeten Ludwig bei der Hand ergriff, um ihn näher zu ziehen. »Sieh', meine Schwester, er war der klare Stern meiner Lebensnacht, bis dein heiteres Sonnenlicht mir aufging; aber er wird nicht erlöschen und erblassen wie die treulosen Gestirne des Firmaments; denn ihn hat auch niemals eine Wolke umhüllt, und je schauerlicher die Nacht, je heller, je freundlicher leuchtete er mir. O ich wünschte, er wäre dein Bruder, so hättest du einen bessern als mich aufgefunden.« – »Bernhard!« sprach Ludwig gerührt aber sanft verweisend. – »O ich kannte unsern Freund früher als dich«, entgegnete Feodorowna. »Mein Herz ist in alter Dankbarkeit gegen ihn tief verschuldet, und seit wenigen Minuten wuchs die Schuld ins Unermeßliche!« – »Wie das, Liebe?« fragte Bernhard. – »Darf ich dir's gestehen, mein Bruder,« fragte sie und blickte ihn liebend an, »wirst du mir nicht zürnen?« – »Dir zürnen? Dir?« – »Sieh',« fuhr sie hold verwirrt fort, »der Wert des Freundes bürgt mir für den des Bruders! Wahrlich, ich hätte an dich geglaubt ,« setzte sie schneller hinzu; »ihm aber danke ich die selige Überzeugung ; weil nur der Edle den Edeln sucht und liebt.« Sie verbarg das holde Angesicht verschämt an Bernhards Brust nach diesen Worten.
»Denselben Dank bin ich ihm schuldig, Schwester«, erwiderte Bernhard mit Innigkeit betonend. – »Wie du?« fragte sie verwundert. – »Bürgt er mir nicht für die Schwester?« Sie senkte das Auge zur Erde; die lieblichste Röte malte ihre Wange; leise zitternd schwieg sie. Eine süße Beklommenheit erfüllte die Herzen der drei innig verbündeten Wesen; einige Augenblicke herrschte tiefe, heilige Stille.
Bernhard nahm zuerst wieder das Wort. »Ich habe an das Wunder geglaubt, ehe es erklärt war,« begann er; »aber sprich, meine Schwester, an welchem Zeichen erkanntest du mich so bestimmt als deinen Bruder? Ich selbst hatte ja nur dunkle, ferne Ahnungen und Mutmaßungen.« – »Ich kam hierher,« erwiderte sie, »um dir alles zu erklären. Sieh' hier, weshalb deine Züge mich gleich im ersten Augenblick mit so wunderbarer Ahnung erfüllten.« Sie reichte ihm die beiden Bildnisse, welche sie von Ruschka durch Gregor erhalten hatte. Bernhard, der sie mit dem Auge des Malers betrachtete, erkannte augenblicklich die unleugbaren Züge der Ähnlichkeit des männlichen Bildnisses mit ihm und des weiblichen mit Feodorowna. Es drang dadurch die süße Gewißheit in sein Herz, daß sein neues Glück kein Traum sei, daß es fest auf dem Grunde der Wirklichkeit ruhe. Plötzlich fragte er: »Und kennst du auch den Namen unserer Eltern, Schwester? Denn ich bin wild unter Fremden aufgewachsen und habe kaum gelernt, einen Wert an Namen und Dasein derer, die mich unbarmherzig von sich stießen, zu knüpfen.«
»O frevle nicht,« erwiderte Feodorowna mit einem frommen Schauer; »das Andenken deiner Eltern darf dir teuer sein. Zwar vermag ich nicht dir eine ausführliche Auskunft über sie zu geben; doch werden diese Blätter dich genug lehren, um künftig nur mit Wehmut und Liebe an diejenigen zurückzudenken, die dir das Leben gaben.«
»O du hast recht, du Holde; denn ich mußte ihnen ja schon deshalb ewig dankbar sein, weil sie mir dich zur Schwester gegeben.« Er nahm bei diesen Worten den Brief, worin Ruschka Feodorownen die Verhältnisse ihrer Geburt entdeckt hatte, und las ihn hastig mit steigendem Anteil.
Indessen sprachen Ludwig und Feodorowna miteinander, und dieser fing an, ihr sein wunderbares Auffinden Willhofens und den Zusammenhang, in welchem dieser Wackere mit seinem Schicksale stand, zu erzählen. Bernhard, der unter dem Lesen halb hörte, rief plötzlich aus: »Ludwig, wie hieß der Freund deines Vaters, um
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