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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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folgen mußte, alles dies verwandelte der auf die Folter gespannten Erwartung die Sekunden in Ewigkeiten. Endlich trat Bernhard mit einem Lichte an das Fenster und verlöschte es an demselben. Das war das verabredete Zeichen. Willhofen schwang sich zu Pferde und ritt gegen das Tor zu, das er zu öffnen befahl. Ludwig folgte ihm mit dem Schlitten; unter dem Torweg, an der Treppe, so lautete die Verabredung, sollte er halten und Bianka und Bernhard aufnehmen und dann, so rasch die Rosse es vermöchten, dem voransprengenden Willhofen folgen. Daß sie nicht sogleich verfolgt werden konnten, dafür hatte der vorsichtige Willhofen dadurch gesorgt, daß er das Gespann und Zaumzeug aller übrigen Pferde, die, im Schloß standen, zusammengerafft und über eine eingestürzte Stelle der Mauer in den Schloßgraben geworfen hatte, der zwar zugefroren war, wo aber niemand diese Gerätschaften suchen konnte. Es war daher zu erwarten, daß sie vor Tagesanbruch schwerlich gefunden würden. Die Dunkelheit begünstigte das Unternehmen; leise, da man den Tritt der Rosse auf dem Schnee kaum hörte, gelangte Ludwig bis an den Torweg. Willhofen war schon außerhalb desselben und hielt an der Brücke. Beim halbdüstern Schein der Lampe, die das Flurgewölbe erhellte, sah Ludwig mit pochendem Herzen drei Gestalten auf den Stufen der Treppe stehen. Er hielt an. »Bist du's, Bernhard?« flüsterte er. »Wir sind's«, war die Antwort und zugleich näherte sich Bianka, um einzusteigen.
    Da ertönte plötzlich Dolgorows furchtbare Stimme: »Verräterei! Auf! herbei! Sperrt das Tor, ergreift die Verräter!« In demselben Augenblick blitzte ein gezückter Säbel über Bernhards Haupt, und von dem Hiebe getroffen stürzte dieser zu Boden. Bianka tat einen lauten Schrei, warf sich über den Niedergesunkenen hin und dem zum zweiten Streiche ausholenden Arm Dolgorows entgegen. »Um des erbarmenden Gottes willen, haltet ein – er ist mein Bruder!« rief sie mit einem Tone, der die Seele zerriß.
    Ludwig erstarrte. Doch schnell faßte er sich, sprang vom Schlitten, riß das Pistol aus dem Gürtel und schoß nach Dolgorow. Er traf ihn leicht an der Schulter, so daß dieser einen Augenblick wankte und zurücktrat. »Flüchte, Unglückselige«, rief Ludwig jetzt und wollte Bianka umfassen, doch schon waren drei Diener, die in der Gesindestube nächst dem Tor gesessen hatten, herbeigeeilt und rissen ihn von hinten zu Boden. »Packt die Frevler! Bindet sie!« rief Dolgorow wütend, und die Diener, die sich schnell durch einige vom Hofe Herbeieilende vermehrten, warfen sich über die Unglücklichen her. Er selbst ergriff Bianka, riß sie empor und trug sie, da sie sich sträuben wollte, mit Gewalt die Stufen hinauf. Ihre Kraft brach in ihrem Schmerz; sie vermochte keinen Widerstand zu leisten. Jeannette folgte der Gebieterin. Die Diener, ohne weitern Befehl abzuwarten, rissen den bewußtlosen Bernhard und den betäubten Ludwig mit sich fort und schleppten sie dem Grafen nach.
    Auf dem obern Korridor begegnete ihnen die Gräfin, die den Schuß und das Getöse gehört hatte, ohne die Ursache zu wissen, und jetzt aus ihrem Zimmer eilte, um sie zu erfahren. »Nehmen Sie Ihre Tochter zu sich, Gräfin,« rief Dolgorow, »die Ehre unsers Hauses steht auf dem gefährlichsten Spiel.« –- »Nicht euere Tochter!« rief Feodorowna, der die Besinnung zurückkehrte, außer sich vor Schmerz; »ich erkenne euere Rechte nicht mehr an! Ihr habt meinen Bruder gemordet!« Heftig entrang sie sich jetzt den Armen des Grafen und eilte zurück, den Dienern entgegen, welche Bernhard und Ludwig herbeischleppten. »Ihr seid meine Vasallen,« rief sie diese mit einer Kraft, die ihr die Verzweiflung lieh, an; »ich gebiete euch, diese Unglücklichen freizulassen und dem Blutenden Hilfe zu leisten!« Dolgorow war ihr nachgestürzt. »Wer meinem Befehl nicht gehorcht,« drohte er mit hoch emporgehobenem Säbel, indem er die Stimme furchtbar erhob, »dem spalte ich das Haupt! Wer wagt es, mir zu trotzen?«
    Die Leibeigenen der Fürstin standen unschlüssig, da sie zwischen Furcht und Pflichtgefühl schwankten. Zwei von Dolgorows eigenen Leuten jedoch beugten sich sklavisch demütig und sprachen: »Unser Gebieter soll uns nur befehlen, was wir zu tun haben.« – »Ich tat es schon,« herrschte Dolgorow sie ergrimmt an: »bindet diese Hunde und werft sie in das tiefste Gewölbe des Schlosses hinunter!« – »Nein, es ist unmöglich,« rief Bianka aus und umschlang den Bruder mit beiden

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