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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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Armen und drückte sein blutendes Haupt an ihre Brust; »ich lasse dich nicht, mein Bruder, du sollst in meinen Armen sterben.«
    Von einer scheuen Ehrfurcht ergriffen, traten jetzt selbst die rohen Leibeigenen zurück und schienen eine höhere Pflicht als die des sklavischen Gehorsams zu empfinden.
    Dolgorow stampfte erbittert mit dem Fuß. »Werft sie mit hinab, wenn sie ihn nicht lassen will!« rief er ingrimmig und schritt selbst auf die Unglückliche zu, um sie von dem Herzen des Bruders zu reißen.
    Ludwigs Brust wurde bei diesem Anblick von unnennbaren Qualen durchschnitten. Da durchdrang ihn plötzlich das Gefühl von der Allgegenwart des höchsten Richters, und in der sittlichen Kraft seiner Überzeugung richtete er sich stolz zwischen den Sklaven, die ihm die Arme gefesselt hielten, auf und rief dem Grafen mit der Überlegenheit der Tugend zu: »Halten Sie ein! Fürchten Sie eine Vergeltung! Der Allmächtige ist Zeuge einer jeden Tat; seiner Gerechtigkeit entflieht niemand!«
    Dolgorow wandte sich stolz um. Er fühlte seine Brust getroffen; ja er empfand zum ersten Male in seinem Leben jenes still geheime Grauen des frevelhaften Bewußtseins. Aber eben darum sträubte sich sein verhärteter Sinn dagegen wie gegen eine schimpfliche Furcht, und er suchte seine Bewegung hinter dem verdoppelten Übermut zu verbergen. Mit höhnischem Auflachen erwiderte er daher: »Meint ihr? Ich denke euch aber zu zeigen, daß man meinem Zorn und meiner Gerechtigkeit noch weniger entflieht!«
    In diesem Augenblick ließ sich plötzlich von unten her ein dumpfes Getöse und ein lautes Brausen verworrener Stimmen vernehmen. Alle stutzten überrascht und lauschten; der Lärm näherte sich.
    »Was gibt's da?« rief Dolgorow. »Gehe einer von euch hinab und sehe zu, was der Lärm bedeutet!« –
    Eben wollte einer der Leute dem Befehl gehorchen, als man die Schar schon die Treppe mit Geschrei heranstürmen hörte« Ein zuckender, stammender Feuerschein in den Gewölben verriet, daß sie mit Licht oder Fackeln kämen.
    Dolgorow, beunruhigt, eilte jetzt selbst der Treppe zu. Das Geschrei und Getümmel der Heraufstürmenden wuchs mit jedem Augenblick.
    »Hier, hier!« rief eine starke Stimme; »mir nach!«
    Ludwig erkannte Willhofens Stimme. Eine Ahnung, daß er Rettung bringe, durchzuckte seine Brust. Doch kaum hatte der Gedanke gekeimt, als ein Schuß und gleich darauf ein zweiter und nach diesem ein furchtbares Wutgeschrei ertönte. i
    Dolgorow, auf den die Schüsse gefallen waren, kehrte vollen Laufs zurück; er hielt sich die getroffene Seite, doch schwang er noch mutig den Säbel und rief die Bedienten zur Hilfe auf. Diese waren unbewaffnet und zauderten. »Fechtet, oder ich selbst stoße euch nieder«, tobte Dolgorow und stampfte mit dem Fuß, daß das Gewölbe dröhnte.
    Die erschrockenen Sklaven ließen Ludwig und Bernhard los und eilten zu ihrem Herrn heran. Da erfüllte plötzlich heller, rotleuchtender Fackelschein das ganze Gewölbe und Ludwig erkannte den getreuen Willhofen, der, in der Rechten den Säbel, in der Linken einen hellen Brand schwingend, eben auf der Höhe der Treppe sichtbar wurde. Raschen Laufs drang er vorwärts, eine Menge Leute mit Knitteln und Stangen hinter ihm her. Sie stürmten wild auf Dolgorow und die Seinigen ein; diese ergriffen die Flucht und stürzten den Korridor hinunter. Dolgorow wollte standhalten; doch er wurde überwältigt, zu Boden geworfen, die Schar drang vor, und bevor Ludwig sich besinnen konnte, ergriff Willhofen seine Hand, schüttelte sie fröhlich und rief jubelnd: »Wir sind gerettet, Herr!«
    Ludwig sank dem Getreuen an die Brust und hielt ihn in trunkener Beklemmung der Freude umfaßt.
    Bianka kniete auf dem Boden; das Haupt des niedergesunkenen Bruders lag in ihrem Schoß, sie faltete die Hände über seinem blassen, blutigen Antlitz, ihre bebenden Lippen vermochten kein Wort hervorzubringen, doch in ihrem emporgerichteten Auge glühte der reinste Dank gegen den Allgütigen. »Bruder, nur du öffne das Auge wieder!« stammelte sie nach einigen Augenblicken und suchte ihm das gesunkene Haupt emporzurichten. Da kehrte ihm die Besinnung zurück, er schlug das Auge auf und fragte: »Wo bin ich?«
    »Am Herzen deiner Schwester«, rief Bianka mit dem Jauchzen der Freude, und ihre wallende Brust vermochte kaum zu atmen. Ludwig hatte sich zu ihr niedergebeugt und half ihr den Ermatteten emporrichten. Er wischte ihm mit seinem Tuche das Blut von der Stirn und fragte: »Schmerzt dich

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