1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
ruhe auf dir. Siehe, der Allgütige will dir wohl; hier, wo seine Schreckensengel den Übermut der Frevler strafen, hier in den öden Wäldern und Schneewüsten des Nordens, wo das schwarzgeflügelte Verderben allen den Tausenden naht, die das Heiligtum unsers Herdes, unserer Heimat, unsers Gottes antasteten – hier läßt er für dich die lieblichste Blume erblühen und gibt sie deiner Wartung, deinem Schutze, deiner Pflege hin. Du kamst mit dem Schwert, aber der Engel des Herrn entwindet es dir und bietet dir die Palme.«
»Ich empfange sie mit Rührung und Dankbarkeit«, antwortete Bernhard und beugte sich bewegt auf Gregors Hand.
»O mein Vater,« redete ihn Bianka bittend an, »du sollst der Versöhner sein, deine fromme Hand soll den Blütenzweig des Glücks von Haß und Blut reinigen, die ihn beflecken. Der heiligsten Pflicht, der mächtigsten Stimme des Herzens folgend, mußte ich andere ältere Bande brechen; gern hätte ich sie sanft gelöst, aber jetzt hat das Schwert der Zwietracht sie getrennt. Sei du der Mittler zwischen mir und meinen Pflegeeltern; ich verdiene ihren Haß nicht, aber selbst der ungerechte Fluch würde unheilbringend an meinem Glücke haften. Wo ist mein Vater? Wo meine Mutter? Ich will zu ihnen.« – »Ich lasse sie drüben im Saale bewachen«, antwortete Willhofen. – »So wollen wir zu ihnen«, bat Bianka eindringend. »Mein Bruder, wirst du mich begleiten können? Ludwig, willst auch du mir folgen? Erweicht euere harten Männerherzen zu dem Werke der Versöhnung und Liebe.« – »Welches Herz soll dieser holden Bitte widerstehen?« sprach Ludwig. »Der kälteste, eherne Grimm, wenn meine Brust ihn hegte, würde schmelzen wie der Schnee vor dem sanften Hauche des Frühlings.«
Bernhard hatte sie bei der Hand ergriffen und sagte, indem er sie sanft drückte: »Ich bin stürmisch, unbändig, ach ich weiß es, es ist wenig Gutes in mir wildem Unhold. Doch Schwester, du – an einem Haar deiner seidenen Locken kannst du mich leiten und fesselst mich unzerreißbarer als die Gewalt mit zehnfältigen Ketten. Durch dich werde ich vielleicht noch gut, du Beste! – Laß uns aber hinüber.«
Sie gingen.
Im Saale fanden sie Dolgorow finstern Blickes, bleich von der innerlichen Wut, auf und ab gehend. Die Gräfin saß in einem Lehnsessel, erschöpft und weinend.
»Was wollt ihr? Seid ihr auch in der Verschwörung und euerm Vaterlande und euerm Gott abtrünnig, Gregor?« grollte Dolgorow den sich ihm nähernden Greis finster an.
Dieser erwiderte ihm mit sanfter Stimme: »Sprecht nicht Worte des Hasses in dieser Stunde, wo der ewige Lenker der Dinge euch sein ernstes Angesicht gezeigt hat. Sprecht nicht Worte des Hasses, jetzt, da wir euch mit Liebe nahen! Ihr habt heilige Bande der Natur getrennt, aber das Auge Gottes wachte und führte die zusammen, die sich gehören sollten. Zürnet nicht denen, die keine Schuld tragen, versöhnt die strenge Tat durch milde Liebe. Die euch so lange Vater nannte, sie geht von euch, denn eine neue Pflicht ruft sie; laßt sie in Liebe und Versöhnung scheiden.«
Dolgorow schwieg und wandte sich ab. »Mein Vater, meine Mutter!« sprach Bianka mit bebender Stimme und trat furchtsam näher; »ich möchte diese heiligen Namen, die ich durch Sie kennen lernte, nicht gern vergessen. Ich duldete viel, aber ich genoß auch viel des Guten; dafür bewahrt mein Herz unvergeßlichen Dank. Scheiden muß ich, denn ich würde ewig eine Fremde hier geblieben sein. Keine Gewohnheit, keine Übung des Lebens hat die Triebe und Keime ändern können, die die Natur in meine Seele legte. Mir sind andere Empfindungen und Neigungen als Erbteil überkommen, ich muß zurücktreten aus diesen Kreisen, in denen ich mich niemals heimisch fühlte. Und mich ziehen heilige, teuere Pflichten. Nicht nur das Band, das die Schwester an den Bruder knüpft, auch ein anderes, ebenso heiliges, umwindet mich mit unzerreißbarer Fessel. Mein Herz hat gewählt. Ich fühle, daß meine Liebe einem göttlichen Gebot gehorchte, darum bekenne ich sie frei und offen. So müssen sich die alten Bande lösen. O meine Eltern, lasset es nicht gewaltsam geschehen! Erspart mir und euch selbst einen Schmerz, dem wir nur durch freien Entschluß entgehen können! Scheiden wir in Liebe!«
Bittend war Bianka der Gräfin genaht und ergriff ihre herabhängende Hand. »Habe ich jemals meine Kindespflicht gegen Sie versäumt, meine Mutter? Selbst das schmerzlichste Opfer brachte ich ja blutend und stumm; ein Opfer,
Weitere Kostenlose Bücher