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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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Rasinski in den halbeingestürzten Hütten eines zerstörten, elenden Dorfes einen alten lahmen Bauer auftrieb, der in der Gegend genau bekannt war. Dieser sagte aus, der Strom sei ganz in der Nähe, werde aber schwerlich zu passieren sein, indem das Eis noch nicht stark genug gewesen sei, um dem Tauwinde zu widerstehen. Wenn noch ein Übergang möglich sei, so könne dieser nur an einer einzigen Stelle geschehen, wo die Eisschollen sich wegen der starken Krümmung des Flusses zu stopfen und einige Zeit hindurch auch noch dann eine ziemlich feste Decke über denselben zu bilden pflegten, wenn er oberhalb schon ungangbar sei.
    Rasinski versprach dem Alten eine reiche Belohnung, wenn er ihn zu der Stelle führe; dagegen drohte er ihm mit dem fürchterlichsten Tode, wenn er Verrat übe. Der Bauer erwiderte: »Habt keine Sorge, ich bin nicht aus Altrußland, sondern von drüben her, wo man euch nicht so übel will als hier. Seid ihr nur erst über dem Flusse, so werdet ihr dort auch Obdach und wohlwollende Leute antreffen, während hier alles verheert und wie ausgestorben ist. Folgt mir denn getrost; ihr werdet bald sehen, daß ich recht habe.« So wurde er der Führer des Heers und brachte es glücklich, bevor eine Stunde verging, an das Ufer des Stroms, der der Retter oder der Verderber dieser tapfern Schar werden sollte.

Fünftes Kapitel.
    Der Mond trat eben hinter dunkeln Wolken hervor und warf sein blasses Licht über die Landschaft, als Rasinski, neben welchem der Bote ging, auf einer Hügelspitze aus dem Walde ins Freie gelangte und nunmehr die Gegend überschauen konnte. Nur der zwischen niedrigen aber steilen Anhöhen eingeschlossene Dnjepr war sichtbar; er glich einer schwarzen Riesenschlange, die sich auf dem weißen Bette des Schnees ringelte, denn leider wölbte sich keine Eisdecke mehr über den Strom, sondern nur einzelne Schollen trieb er auf brausenden Wellen zwischen den Ufern dahin. Rasinski, der, um sich zu versichern, daß kein Verrat vorwalte, einige hundert Schritte vorangesprengt war, befand sich allein mit dem Führer in dieser schauerlichen Gegend. Er warf seine forschenden Blicke rings durch die Öde, in der nur das dumpfe Dröhnen und Krachen der aneinander stoßenden Eisschollen zu vernehmen war. »Dort,« sprach der Muschik und deutete mit dem Finger nach einer Stelle, wo der Strom sich zu verlieren schien, weil die Hügel seinen Lauf deckten, »dort steht das Eis, denn in der flachen Biegung stopfen sich die Schollen, und wenn sie nicht seit gestern weggetaut ist, so muß auch noch eine Bahn übergefroren sein.«
    Rasinski lenkte sein Pferd nach der bezeichneten Stelle hin. Indem er am Saume des Waldes hinunterritt, hörte er es plötzlich in den Gebüschen rasseln und vernahm zugleich Peitschenknall und heftiges Schnauben angestrengter Pferde. Er horchte verwundert auf, denn hier konnte noch kein Wagen von dem Zuge des Heeres sein, auch wäre kein einziges Paar der ermatteten Zugtiere desselben jetzt einer so raschen Bewegung fähig gewesen. »Führt ein Weg hier durch den Wald?« fragte er den Russen. »Ja, Herr,« erwiderte dieser, »der Weg von Syrokorenje nach Gosinoe kommt hier herüber. Es sind vielleicht Bauern, die hier durchs Holz fahren; aber Gefahr hat es gewiß nicht, da es ja nur ein Schlitten zu sein scheint.« Indessen beschloß Rasinski doch, denselben mit Vorsicht zu beobachten und ihn, wenn er es nötig finde, anzuhalten. Sowie er dessen daher ansichtig wurde, zog er die Pistole aus dem Gürtel, sprengte in den Weg und rief in russischer Sprache mit starker Stimme: »Halt, oder ich schieße!«
    Der in dichte Pelze verhüllte Führer des Schlittens hielt an und erwiderte gleichfalls russisch: »Was wollt ihr? Wir sind gute Russen, was haltet ihr uns an?« Rasinski ritt näher, hielt aber die gespannte Pistole in der Hand. »Woher kommt ihr, wer seid ihr, und wohin wollt ihr? Darüber habt ihr mir jetzt genaue Auskunft zu geben«, befahl er mit ruhigem, aber männlich festem Tone. Der Führer des Schlittens wandte sich, statt zu antworten, zurück zu den im Schlitten Sitzenden und fragte leise auf deutsch: »Es sind ihrer nur zwei, soll ich mit der Pistole antworten und weiterfahren?«
    Rasinski hatte jetzt die Unbekannten im Schlitten näher betrachtet; es waren der Tracht nach zwei Männer und zwei Frauen. Da er jetzt an der halbgehörten Rede des Führers merkte, daß sie keine Russen seien, vermutete er vielleicht flüchtige Offiziere von der Armee. Er drängte daher

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