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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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die Übergangsstelle hin; allein schon war das Gedränge so groß geworden, daß er das Ufer nicht erreichen konnte. Rasinski fand seine Freunde in dem verworrenen Gewühl heraus und berichtete ihnen mit besorglicher Miene, daß kein Wagen, ja kaum ein Roß den Strom passieren könne, weil die Eisdecke zu dünn für eine solche Last sei; denn sie bestand nur aus zusammengeschobenen Schollen, die zum Teil schon unter Wasser standen, oder doch nur mit einer dünnen Eiskruste frisch überfroren waren. Nur einzelne Leute hatten es daher bis jetzt gewagt, nach dem andern Ufer hinüberzuklimmen; allein auch von diesen waren viele verunglückt, weil sie im Dunkeln in die tiefen Spalten zwischen den Schollen stürzten. Der Marschall hatte daher für jetzt jeden fernern Versuch untersagt, zumal da seine Menschlichkeit nicht dulden wollte, daß man den Übergang bewerkstellige, ohne die Tausende von ermatteten Nachzüglern, von Verwundeten, Frauen und Kindern abzuwarten, die mit ihren erschöpften Kräften dem furchtbaren Marsch durch Sturm und Schneegestöber nicht zu folgen vermochten. Es wurden daher drei Stunden Frist zum Ausruhen und zur Sammlung anberaumt, während welcher Zeit noch das Mögliche geschah, um den Übergang zu erleichtern, indem man durch Baumäste und Stroh die minder breiten Spalten zu verstopfen, die andern wenigstens so zu bezeichnen suchte, daß man ihnen nicht unvorhergesehen nahte. Bianka sah sich durch die seltsame Verkettung ihrer Schicksale also jetzt mitten in dem Getümmel des Krieges. Wenngleich ihre Jungfräulichkeit sich nur mit Zagen unter dieses furchtbare Treiben der Männer mischte, so gewährten ihr doch Ludwigs und Bernhards Nähe Schutz und Trost. Gegen äußere Gefahren war sie mit dem Mut hoher Seelen gewaffnet, die sich an dem Bewußtsein erheben, daß es über dieses Leben hinaus etwas Besseres, Ewiges gibt, das keine fremde Gewalt uns entreißen, sondern nur unser eigener Abfall von der Wahrheit verscherzen kann. Aber sie hatte sich noch mit andern Kräften zu rüsten als mit denjenigen, wodurch man eigene Geschicke trägt; denn es war ihr verhängt, den unbeschreiblichen Jammer vieler Tausende von Unglückseligen zu sehen, die hier verderben sollten!
    Um Mitternacht gab der Marschall, der mit der Kaltblütigkeit des Helden die dreistündige Frist benutzt hatte, um sich durch einen erquickenden Schlaf für neue Drangsale zu stärken, Befehl, den Übergang geordnet zu beginnen. Still, ernst, fest in seinen Reihen bleibend, machte ein Regiment leichter Infanterie den Anfang. Doch kaum hatten die ersten Sektionen wenige Schritte vorwärts getan, als plötzlich ein dumpfes Krachen unter ihren Füßen ertönte und der Boden zu wanken begann. Sie glaubten sich durch schnelles Überhineilen retten zu können und beschleunigten daher ihre Schritte; doch, da andere Massen nachdrangen, verstärkte sich der Druck auf die Eisfläche. Sie sanken mit der Scholle bis an die Knie ins Wasser; der Fuß schwankte, glitt aus, sie stürzten nebeneinander hin. Da brach das berstende Eis mit lautem Krachen, ein tiefer schwarzer Schlund öffnete sich, und verschlungen waren die Unglücklichen, die sich der verräterischen Scholle anvertraut hatten! Ein lauter Schrei des Entsetzens zerriß die Lüfte; voller Schrecken bebten die Zunächststehenden zurück und warfen sich gewaltsam andrängend in die Reihen ihrer Kameraden, die schon gegen den Fluß vorrückten.
    Der Marschall war überall selbst zugegen. Mit düsterm Grausen sah er seine Tapfern in den Abgrund des Stroms hinabsinken. Noch erhob sich hier und da ein Haupt, ein Arm, und ein jammernder Hilferuf schnitt in die Seele; doch nach wenigen Sekunden war alles verschwunden und grausenvolle Stille schwebte über den dunkeln Wogen. »So ist's unmöglich«, sprach der Marschall mit gewaltsamer Fassung. »Wir müssen es einzeln versuchen.«
    Es wurden jetzt je zwanzig und zwanzig Mann zerstreut abgesendet, die, einzeln von Scholle zu Scholle klimmend, das andere Ufer zu gewinnen suchten. Es gelang. Eine neue Hoffnung belebte die Brust der Krieger. Da hörte man in nicht großer Ferne Kanonendonner. Dieser Klang erinnerte wieder an die Übermacht des Feindes, der in jedem Augenblick die Spur des Heeres aufgefunden haben und ihm nachrücken konnte. Dadurch schwoll der Trieb der Rettung zu mächtig in jeder Brust. Zeigte sich der Feind, so waren diejenigen geborgen, die das jenseitige Ufer erreicht hatten, aber rettungslos verloren alle, welche noch auf

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