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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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steile, mit Glatteis bedeckte Abhänge zu einer geänderten Richtung. Die Nacht wurde finster wie das Grab, eine schwarze schwere Wolkenhülle, aus deren Schoß die Schneefluten herabwirbelten, hatte sich über den Himmel gelagert. Nichts blieb dem Auge sichtbar als das gespenstisch schimmernde weiße Leichentuch, womit sich die unermeßliche Totenbahre der Erde bedeckt hatte. Endlich waren die erschöpften Kräfte gebrochen; der erstarrte Fuß vermochte keinen Schritt mehr zu tun, der abgestorbenen Hand entsank die Waffe. Selbst der Feldherr schien die Hoffnung zu verlieren und das edle Haupt dem zerschmetternden Schlage der Vernichtung beugen zu wollen. Es mußte endlich mitten in Eis und Schnee gerastet werden, damit die Ermüdeten wenigstens Atem zu neuen Anstrengungen schöpfen konnten. Der Marschall befand sich an der Spitze des Zuges mitten unter Rasinski und dessen Leuten; Regnard hielt an seiner Seite.
    »Wißt ihr noch, Rasinski,« fragte er diesen ganz leise, »wo Süden oder Norden ist, ob der Feind vor oder hinter uns steht, ob wir uns rechts oder links von der Straße befinden? Ein Kompaß wäre hier eine Provinz wert.« – »Vielleicht lassen sich einige Sterne blicken, wenn das Schneegestöber aufhört,« erwiderte Rasinski; »es dauert ja schon drei Stunden, da wird es doch endlich eine Pause machen.« – »Ich glaube an keine Sterne mehr, die uns leuchten«, antwortete Regnard kopfschüttelnd und blickte düster vor sich hin.
    Rasinski peinigte sich mit dem Versuche, ein Mittel zu ersinnen, um den Marsch mit Sicherheit zu leiten. Eben hatte er einen rettungbringenden Gedanken gefunden, als der Marschall ihn rasch fragend anredete: »Haben Ihre Leute und Pferde noch einige Kraft übrig, so folgen Sie mir, ich hoffe ein Mittel ersonnen zu haben, die Richtung nach dem Dnjepr selbst durch diese Schneewüste zu finden.« – »Auch ich,« rief Rasinski eilig, weil er sich wenigstens den Ruhm des Einfalls auch für seinen Teil sichern wollte; »wenn man den Lauf des Baches ermitteln könnte, der in der Schlucht strömen muß, an welcher wir vor einer halben Stunde umzukehren gezwungen waren.« – »Wir verstehen uns,« erwiderte der Marschall freudig; »eben das ist auch mein Gedanke. Wir wollen versuchen, die Stelle wiederzufinden; Sie und Ihre Reiter und einige Sappeure sollen mich begleiten.«
    Sogleich machte man sich auf. Die noch nicht ganz verschneiten und verwehten Spuren der Kanonen ließen den Weg, den das Heer genommen hatte, erkennen. An einigen zweifelhaften Stellen half Rasinskis scharfer Ortsinn, dem nichts entging, was zur Orientierung dienen konnte, und der die unbedeutendsten Formen des Terrains in unverlöschlichem Gedächtnis festhielt. Nach einer halben Stunde erreichte man die Schlucht. Der Schnee war durch den Sturm mehr als mannshoch darin zusammengeweht. Indessen machten sich die Sappeure mit angestrengtester Kraft daran ihn wegzuräumen, und gelangten wirklich auf einen festen Eisspiegel.
    »Wenn der Frost bei diesem seichten Gewässer nur nicht bis auf den Grund gedrungen ist«, sprach der Marschall besorglich, während die Sappeure sich schon bemühten, das Eis zu durchhauen. – »Das fürcht' ich nicht,« entgegnete Rasinski; »alle diese Bäche haben einen warmen, moorigen Grund. Daher frieren sie nur bei der schärfsten Kälte durchweg zu. Wir treffen zuverlässig noch Wasser, zumal da es gestern schon zu tauen angefangen hat.«
    Er hatte richtig geurteilt. Denn eben drang die Axt durch die Eishülle, und es trat Wasser in die Lume. Mit wenigen Schlägen war die Öffnung erweitert, und man erkannte jetzt die Richtung des Wasserzuges. Freudig rief der Marschall aus: »So hoffe ich, sind wir geborgen. Dieser Bach muß uns zum Dnjepr geleiten, der nicht fern sein kann. Sind wir über diesen hinaus, so, denke ich, haben wir das Schwerste überwunden und werden uns mit unsern Kameraden vor uns bald vereinigen.«
    Sogleich sandte der Feldherr jetzt die Marschbefehle an das Korps, welches sich indessen einigermaßen von der Anstrengung ausgeruht hatte. In einer Stunde gewann man, stets dem Laufe des Baches folgend, einen dichten Wald. Hier war man geschützt vor dem Sturme, und das Schneegestöber hatte überdies aufgehört. Die geringste günstige Wendung des Geschicks belebt in solchen Lagen den Mut auf unglaubliche Weise mit neuen Kräften und Hoffnungen. Daher schritt der Marsch rüstig vorwärts. Das Vertrauen der Krieger wuchs noch durch den glücklichen Zufall, daß

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