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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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herab und umhüllt die Bedrängten mit ihrem beschattenden Gespinst. Jetzt scheint der Marschall den Ausweg aus diesem Labyrinth des Todes gefunden zu haben. Er mißt mit den Augen die Entfernung, die Stellung des Feindes; er wirft die Blicke seitwärts, rückwärts; man sieht, daß er die Gestalt des Bodens, auf dem er sich befindet, mit neuen Absichten betrachtet, ihm neue Vorteile abzugewinnen denkt. Nun ist der Gedanke reif; er hat keinen Feldherrenrat gehalten; nur seinen eigenen Mut, seine eigene Einsicht hat er befragt. Er winkt Regnard, Rasinski und die andern Führer heran und erteilt jedem seine Befehle. Diese eilen zu den Ihrigen. »Gewehr auf!« schallt es durch das Heer, und von allen Seiten setzen sich die Kolonnen in Bewegung. Aber wohin? Gegen den Feind? Nein. Aber dennoch dem furchtbarsten Verderben entgegen, denn sie wenden ihre Schritte zurück, in die unermeßlichen Öden Rußlands. Der Feind von seinen Höhen sieht mit Erstaunen diese Bewegungen; er scheint ähnliche Absichten zu vermuten, wie zwei Tage zuvor der Vizekönig von Italien ausgeführt hat. Deshalb verlängert Kutusow die Flanken seines, Heers nach beiden Seiten und dehnt so die Garne weiter aus, in denen er den Löwen zu sahen[? fangen ?] hofft. Er hätte ihn vernichten können, denn nur eines Angriffs würde es bedurft haben, um die wenigen Tapfern durch die Masse ihrer Gegner zu erdrücken; allein der kaltblütige Greis schien einen höhern Wert darauf zu legen, sie gefangen zum Triumphe Rußlands inmitten seines Heeres einzuführen, wenn Hunger, Kälte und Erschöpfung sie gezwungen haben würden, die Waffen zu übergeben. Denn daß abermals eine Möglichkeit sein werde, dieser zehnfachen, unersteiglichen Ringmauer von Gefahren zu entrinnen, das schien dem alten Russen nur im Reiche der Wunder und Träume zu liegen. So hatte er es denn jetzt in der Hand, den berühmtesten Krieger des französischen Heers zu vernichten; aber das genügte seinem Stolze und seiner Rache nicht. Er wollte ihn demütigen und nicht sein Haupt, sondern seinen Degen dem Kaiser Alexander überliefern.
    Die französischen Krieger empfangen die Befehle ihrer Führer mit, erschreckendem Erstaunen. Wie, fragt sich jeder, zurück sollen wir, in die starren, grauenvollen Wüsten, denen wir nur mit äußerster Anstrengung zu entrinnen suchten? Wir wenden der Heimat den Rücken zu, dringen wieder ein in das Herz des szythischen Rußland, wo die Sitte rauher, barbarischer ist als selbst die Natur? Mit geheimem Grausen taten sie jeden Schritt rückwärts; indes sie gehorchten, denn ihr Feldherr hatte so geboten, und das Vertrauen auf ihn war die einzige Stütze ihrer Kraft.
    Die Nacht schien den Schlag ihrer düstern Schwingen zu beeilen und senkte sich tiefer und tiefer auf das kalte Lager des Schnees herab. Schon verschwanden die mit Feinden gekrönten Höhen in unbestimmtem Dunkel, und nur noch einzeln, sparsam wurden schwere Kugeln in die Masse der Rückwärtsziehenden gesandt, gleichsam ein Zeichen, daß der Feind seine Beute nicht aus dem aufmerksamen Auge verliere.
    Schweigend, mit müdem Fuß, düstere Sorgen in Blick und Brust, schritten die Krieger auf ungebahnten Wegen (denn der Marschall zog sich, rechts von der großen Straße, den Wäldern zu) durch den tiefen lockern Schnee dahin. Das Maß ihrer Bedrängnisse war aber noch nicht gefüllt. Denn allgemach, anfangs mit hohlem Geräusche, dann näher und näher heranbrausend, erhob sich der Sturm; diesmal aber nicht jener strenge eisige Hauch des Nordens, sondern ein feuchter Südwest, der Schneegewölk auf der Bahn des Himmels herantrieb und zugleich von dem Boden wirbelnde Flockensäulen aufjagte. Als rege ein feindlicher Dämon diese Strudel von Sturm und Schnee auf, um die Unglücklichen darin wie in den gähnenden Schlünden einer Charybdis zu verschlingen, tobten die Wirbel umher und versetzten der Brust den Atem. Roß und Menschen keuchten, die letzte Kraft drohte zu schwinden. Der Wind zog mit hohlem Geheul über die Steppen; jetzt verfing er sich in den Schluchten, jetzt brach er sich an den Wäldern und kehrte abprallend, sich selbst kreuzend zurück, so daß er, die Ermatteten mochten die Schritte wenden, wohin sie wollten, ihnen stets das Angesicht rauh peitschte. Der Marsch wurde unsicher, er schwankte rechts, er schwankte links. Bald sperrten verwehte Schluchten den Weg, und man mußte ganze Strecken zurückmessen, ungewiß, ob man sich vom Feinde entferne oder ihm nähere. Bald zwangen

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