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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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Seite springen; doch es ist zu spät. Die vordersten Rosse fassen ihn und schleudern ihn samt dem Mädchen zu Boden, und über ihn hin geht der zermalmende Weg der Räder. Mit einem lauten Schrei fällt Bianka auf die Knie, flehend erhebt sie die Arme und ruft: »Auch über mich nehmt euern Weg, Unmenschliche, zermalmt auch mich!« In ihrem sinnverwirrenden Schmerz will sie sich den Pferden in die Bahn werfen; doch Ludwig umschlingt sie mit der Angst der Liebe und reißt sie zurück an sein Herz; betäubt sinkt sie mit ihm zu Boden; das Gespann braust mit betäubendem Rasseln dicht an ihr vorbei, die Sinne schwinden ihr, sie liegt in starrer Ohnmacht.
    Endlich dringt ein sanfter Laut zu ihrem Ohr: »Schwester, o meine Schwester, erwache«, tönt Bernhards Stimme. Sie schlägt das Auge auf, Bernhard kniet unversehrt vor ihr und breitet seine Arme gegen sie aus. »O du Allbarmherziger,« ruft sie aus und sinkt an das Bruderherz; »blickt denn dein behütendes Auge hinab bis in diese Schlünde des Entsetzens?« In seligen Tränen strömt ihre Liebe, ihr Schmerz, ihre Angst, vergessen ist aller Jammer, vergessen, womit die Zukunft droht.
    »Also hat es kein Opfer gekostet?« fragte sie noch einmal und will Bernhards Lippen mit süßen Küssen versiegeln. Doch ernst hält er sie zurück und spricht: »Eins hat dennoch geblutet, obwohl der Himmel das Verderben von mir abgewendet hat. Jeannette fand den Tod; ihre Treue soll wie die unsers Willhofen nur jenseits ihren Lohn finden.« – »Jeannette tot!« rief Bianka mit bebender Stimme. »O,« sprach sie nach einigen Augenblicken in beklemmtem Schmerzgefühl; »wenn hier alles vernichtet wird, sollen wir es denn ein Glück nennen, allein zu entrinnen? Aber wo ist sie?« – »O, verlange sie nicht zu sehen,« bat Bernhard und wollte sie hindern, sich umzuwenden, denn der Leichnam lag hinter ihr; »sie starb zu schrecklich.«
    Doch schon war es geschehen. Bianka hatte, den Blutspuren mit den Augen folgend, den Leichnam schon erblickt; sie schrie laut auf und fuhr zuckend zusammen bei dem schaudervollen Anblick desselben. Das Rad war über Stirn und Brust gegangen und hatte das blühende jugendliche Antlitz gräßlich gequetscht und zerrissen. Noch drang das Blut in dunkeln Strömen hervor und mischte sich mit den blonden Locken, die aufgelöst und zerstreut von dem Haupt der Unglücklichen herabwallten und über dem Schnee ausgebreitet lagen. »Ach, ich muß sie dennoch sehen,« bat Bianka zu den sie zurückhaltenden Männern; »ich muß noch Abschied von ihr nehmen, wie schaudernd sie auch entstellt ist; so weichlich ist mein Herz nicht, daß ich dieses Gefühl nicht um der Pflicht der Liebe willen überwinden sollte. Sie hat ja mir ihr jugendliches Leben geopfert! O, leitet mich zu ihr!«
    Bernhard und Ludwig nahmen sie in die Arme und führten sie zu der Entseelten. Ludwig trug auch das Kind, an dem, als sei es von Engelsfittichen geschirmt, bis jetzt noch alle Schrecken, ohne es zu versehren, vorübergegangen waren. Der Strom der Menge ringsumher hatte sich verloren, doch weiter unten und zurück tobte und drängte er noch; nur von fernher drang das verworrene Brausen der Stimmen herauf. Selbst die Kugeln reichten nicht bis auf diese Stelle, obwohl der Donner der Geschütze noch immer den Boden erschütterte. So waren sie denn einsam mit ihrem Schmerz und dem bangen Grauen ihrer Seele; aber dennoch, trotz alles Jammers, im Tiefsten dankbar bewegt, daß die stürmende Wut des Verderbens wenigstens die heiligsten Bande der Liebe verschont hatte. Schweigend stand Bianka, auf die Arme ihrer Führer gelehnt, vor der nun Entschlummerten, und ihre Tränen flossen leise. »O, wenn du ihr das Haupt umwenden könntest, Bernhard,« bat sie diesen, »dann sähe ich vielleicht noch einmal ihre freundlichen Züge.« Bernhard tat es; zugleich verhüllte er die blutenden zerschmetterten Stellen in das Gewand und bedeckte die Stirn mit einem Teil der Locken, die noch nicht von Blut genetzt waren. Bianka hatte recht gehabt, nur die linke Seite des Hauptes war so fürchterlich zerrissen, die rechte zwar ein wenig krampfhaft verzogen, doch noch unversehrt genug, um an das Bild der Lebenden zu erinnern.
    Mit Rührung beugte sich Bianka über die Tote hinab und sprach: »Wie sanft sie aussieht; so freundlich, wohlwollend und milde war auch ihr Herz!« – »Und das liebe Wesen muß so rauh von der Keule des Geschicks zerschmettert werden!« setzte Ludwig hinzu, indem er Biankas Hand küssend

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