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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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Kugeln getroffen zu werden oder dem Feinde selbst in die Hand zu fallen. Unbarmherziger wird er nicht sein als die Tigerwut, mit der das Verderben dort unten um sich raset.«
    Jetzt war aber auch der entsetzlichste Augenblick da, denn von den Höhen von Studianka kamen flüchtende Teile des Heeres herab. Die Artillerie rasselte im vollen Trabe die Eisabhänge hinunter; die Pferde vermochten die Kanonen nicht zu halten. So blieb keine Wahl, der Weg ging mitten in das dichte Gewoge der Unglücklichen hinein. Zermalmend rollten die Räder auf einer Straße von Leichnamen und über brechende Gebeine vieler tausend Lebenden hinweg. Das Angstgeheul schien aus dem Bauch der Erde herauszudringen; Wagen, Kanonen, Pferde und Menschen stürzten übereinander hin die Abhänge gegen den Strom hinunter. Gebete und Flüche, Wehgeschrei und Wutgebrüll tobten durcheinander und wurden kaum übertäubt durch die Donner der Geschütze und das schmetternde Einschlagen der Kugeln. Grimmig heulte der Sturm auf, jagte wirbelnde Schneewolken empor und trieb den schwarzen Strom in schäumenden Wellen heran. Alle Kräfte der Elemente und der Menschen waren im Kampf. Am fürchterlichsten sättigte sich das Entsetzen auf der Brücke selbst. Hier liefen Rettung und Verderben auf dem schmalsten Pfade am Abgrunde nebeneinander hin. Der Fuß trat nicht auf Leichen, sondern auf Lebende, die sich halb zerstampft in wilden Zuckungen wälzten. Gierig öffnete die Flut von beiden Seiten den schwarzen Rachen und verschlang Tausende von Opfern, die erbarmungslos in ihren Abgrund hinabgestürzt wurden. Ein entmenschter Kampf entbrannte auf diesem Punkte. Der Bruder wollte sich Bahn brechen über die Leiche des Bruders und trat sein Antlitz unter die Füße. Die hinuntergestürzt wurden in die kalte Todesumarmung der Wellen klammerten sich mit Wut an die Nächsten an, und wollten sie mit in den Untergang reißen oder von ihnen mit auf das Rettungsufer geschleppt werden. Diese setzten sich zur Wehr, als ob sie von Hyänen angefallen würden. Mit dem Säbel, mit dem zerschmetternden Stoß des Kolbens lösten sie die angstvolle Umklammerung der Verzweifelnden und stießen die verstümmelten Opfer in die Brandung hinunter, daß sie sich blutig rötete. Doch der Wahnsinn der Angst gab neue Mittel ein; mit grimmigem Zahn bissen sich die Stürzenden in Füße oder Kleider ein, bis ein dröhnender Keulenschlag auf den Schädel oder ein das Angesicht zerreißender Fußtritt sie betäubt in den Schlund des Todes hinabwarf.

Sechstes Kapitel.
    In dichten Scharen strömten die Krieger, die die letzte Schlacht gefochten hatten, von den Bergen herab. Da sie die Brücke und die Ufer umher von den Flüchtlingen so überschwemmt sahen, daß es unmöglich war, sich hier die Bahn zu brechen, wandten sie sich weiter stromaufwärts, um schwimmend oder eine Furt durchwatend das jenseitige Ufer zu erreichen. Diese Flut bedrohte auch den Zufluchtsort, den Bernhard aufgespürt hatte. Ludwig bemerkte es zuerst und trieb an, jenen voran, weiter gegen die Quelle des Stroms hinaufzuflüchten. Es geschah in stürzender Eile, soviel die von Angst und Qualen erschöpften Kräfte der Frauen es vermochten. Doch auch hier war die Natur feindlich gesinnt, denn der Sturm tobte ihnen entgegen und jagte ihnen den aufgestäubten Schnee ins Angesicht. Viele, die an der Rettung über die Brücken verzweifelten, folgten ihnen, und so zog sich auch dahin eine dichte, strömende Schar. Von der Höhe herab fluteten die aus der Schlacht zurückkehrenden Reiter, Fußvolk, Wagen und Kanonen durcheinander. Bald mischten sich beide Ströme, und jetzt erneuten sich die Schrecken des wilden Dranges. Bernhard rief Ludwig zu: »Folge mir; immer aufwärts nach den Höhen laß uns kämpfen; wohin niemand sich retten will, da ist unser Heil zu suchen.«
    Sie mußten so den Strom der Flüchtlinge durchschneiden und hatten daher einen gewaltigen Kampf zu bestehen; keuchend, atemlos, fast von den letzten Kräften verlassen, erreichten sie endlich doch die Grenze des Gewühls. Eilig schritten sie über einen glatten Abhang hin; da lauerte das Schicksal noch einmal tückisch auf. Zwei Kanonen kommen von der Höhe herab, sie geraten auf die eisige Abdachung; die Pferde gleiten, sie drohen zu stürzen. Nichts kann mehr retten als ein blindes Fortstürmen. Von Peitschenhieben und tobendem Zuruf gejagt, brausen die Rosse vollen Laufs hinab und stürzen gerade auf Bernhard an. Dieser will, Jeannetten mit sich reißend, zur

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